Tabu Brasilien, Frankreich, Deutschland, Portugal 2012 – 110min.
Filmkritik
Beschwörung vergangener Zeiten
Was wie ein Altersdrama um eine verschrobene Frau um die 80 beginnt, entuppt sich als spätes Liebesdrama. Der eigenwillige Schwarzweissfilm im Stummfilmstil aus Portugal schildert eine Episode aus fernen afrikanischen Kolonialtagen. Ein Kunstfilm für ausgeprägte Cineasten.
Tief in Afrika. Ein Tropenmann. Ein Krokodil. Er stürzt sich ins Wasser. Eine verstörende Eingangssequenz im Stummfilmstil. Schwarzweiss. Was hat es damit auf sich? Schnitt. Eine uralte Frau, launisch, herrisch, verschroben - heute im modernen Lissabon, nun in Farbe. Die Haushälterin Santa (Isabel Cardoso), ursprünglich von den kapverdischen Inseln, hat ihre liebe Not mit der achtzigjährigen Aurora (Laura Soveral).
Die exzentrische Lady tut so, als wäre sie noch immer die Kolonialherrin, die sie einst war. Vor 50 Jahren lebte sie auf einer Teeplantage in Mozambique, zu jener Zeit eine portugiesische Kolonie. Ihr Mann zieht in den Kolonialkrieg, und da ergibt sich die Gelegenheit, sich mit Gian Luca (Carloto Cotta) zu vergnügen. Aus Liebelei wird Leidenschaft, ein anderer Nebenbuhler muss sein Leben lassen. Aber Auroras feudales Afrika-Leben hatte ein Ende, sie muss zurück nach Europa und sieht ihren Liebhaber nie wieder. Den hätte sie aber gegen Lebensende gern noch einmal gesehen und ersucht, Santa und ihre Nachbarin Pilar (Teresa Madruga), besagten alten Lover (Henrique Espirito Santo) aufzusuchen und herzubitten.
Und dann schweift die Kamera zurück in alte afrikanische Zeiten. Romantik, Liebe und Leidenschaft. Schwarzweisse Bilder von den Kolonialkriegen in den 60er- und 70er-Jahren, irgendwo in Mozambique. Etwas schräg nostalgisch und dann wieder komisch gegenwärtig, wenn eine Popband auftritt. Im Prinzip deuten die Schwarzweissbilder auf versunkene, vergangene Zeiten, die erinnert werden, die in Farbe gedrehten Szenen spielen in der Gegenwart, in der kaum gesprochen wird. Es soll wirken, "als ob die eigentlichen Worte, die zwischen den Menschen ausgetauscht wurden, in der Zeit verloren gegangen wären", so Filmautor Miguel Gomes.
Das eigenwillige Drama, das sich explizit einer seltsam gekünstelten Kolonialkulisse und Stummfilmanleihen bedient, versteht sich gemäss Gomes nicht als Drama zur Kolonialgeschichte, sondern als Geschichte für "drei einsame Figuren mit unterschiedlichen Temperamenten und Eigenheiten". Tabu hat weder etwas mit dem Abenteuerstummfilm (1931) von Friedrich W. Murnau noch mit einem fiktiven Berg Tabu in Afrika zu tun. Er erweist sich vielmehr als spinniges Spätliebesdrama mit expressiven Stummfilmepisoden.
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Kommentare
Ein Schwarzweiss-Film über eine tragische Liebesgeschichte, der filmtechnisch hochstehend ist. Das von der Kritik vielfach gelobte Drama aus Portugal vom Regisseur Miguel Gomes ist allerdings auf vollblütige Cineasten zugeschnitten, und wenn man dies nicht ist, wird man damit wohl nicht sonderlich viel anfangen können.
7/10… Mehr anzeigen
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