The Angels' Share Frankreich, Grossbritannien 2012 – 102min.

Filmkritik

Delinquenten in der Destillerie

Patrick Heidmann
Filmkritik: Patrick Heidmann

Bittere Sozialdramen aus dem Milieu der britischen Arbeiterklasse? Das scheint Geschichte. Noch als in seinem vorletzten Film Looking for Eric überrascht Altmeister Len Loach dieses Mal mit einer ungewohnt leichtfüßigen, ja komödiantischen Geschichte.

In deren Zentrum steht Robbie (Paul Brannigan), der in Glasgow mal wieder vor den Haftrichter muss. Eigentlich winkt wegen Körperverletzung der Knast, doch die Schwangerschaft von Robbies Freundin (Siobhan Reilly) stimmt den Richter milde. Stattdessen wird der junge Mann zu Sozialstunden verurteilt, die er unter der Aufsicht von Harry (John Henshaw) ableisten muss. Der gutmütige Sozialarbeiter hat etwas übrig für den neuen Schützling, der allen Widrigkeiten zum Trotz von einer besseren Zukunft träumt.

Als Harry Robbie und andere Delinquenten wie Albert (Gary Maitland), Mo (Jasmin Riggins) und Rhino (William Ruane) für einen Ausflug in die Highlands mitnimmt, wo sie in einer Destillerie Einblick in die Welt des Whiskys bekommen, eröffnet er ihnen eine neue Welt. Vor allem Robbie, der seinen ersten Drink noch laienhaft in einem Zug geleert hatte, erweist sich als Naturtalent in Sachen schottisches Nationalgetränks. Als er erfährt, dass demnächst in der Nähe der wohl teuerste und beste Whisky der Welt versteigert werden soll, schmiedet er einen cleveren, aber riskanten Plan, der ihm, seinem neugeborenen Sohn und seinen neuen Freunden womöglich ein besseres Leben bescheren könnte.

Nie war ein Film von Ken Loach heiterer, unbeschwerter und hoffungsfroher als The Angels' Share (der Titel bezieht sich auf die kleine Menge Whisky, die bei der Lagerung im Fass verdunstet). Bei der Weltpremiere in Cannes, wo der Film im vergangenen Frühjahr zwischen jeder Menge dramatischer und bedeutungsschwangerer Werke im Wettbewerb lief, zeigte sich mancher Fan der ersten Stunde darüber irritiert. Doch tatsächliche sind es gerade der lockere Erzählton und die Publikumsfreundlichkeit, die den Film zu Loachs frischestem und sehenswertestem seit einigen Jahren machen.

Außerdem ist es nicht so, dass der bekennende Trotzkist sich selbst plötzlich untreu geworden wäre, nur weil seine Geschichte einigen Konventionen typisch britischer Feelgood-Komödien folgt. In vielem – von den vielen starken Laien-Darstellern über das schottische Lokalkolorit bis hin zum sehr genauen Blick auf die sozialen Missstände – ist The Angels' Share ein Loach-Film, wie man ihn kennt. Und auch seine kämpferische Haltung hat der Regisseur nicht aufgegeben. Denn dass Robbie und seine Kumpel den Autoritäten ganz schön auf der Nase herumtanzen, versteht sich bei allem Frohsinn von selbst.

18.02.2024

4

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Kommentare

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fiftygirl55

vor 11 Jahren

super Unterhaltung bis zum Schluss


variety

vor 11 Jahren

Mehr Tragödie als Komödie - aber gut gespielt.


Barbarum

vor 11 Jahren

Ich persönlich hätte mir einen Hauptdarsteller mit etwas mehr Charisma gewünscht. Aber alles in allem erzählt der Film eine unterhaltsame Gesichte, der ein gewisser Sozialrealismus anhängt. Nicht ganz so toll wie Loaches "Looking for Eric" aber durchaus empfehlenswert.


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