Was bleibt Deutschland 2012 – 85min.
Filmkritik
Implosion im Bauhaus
Die depressive Mutter setzt ihre Medikamente ab, der Vater ist neuerdings im Ruhestand: Für das Familiendrama von Sturm-Regisseur Hans-Christian Schmid, den zweiten deutschen Wettbewerbsbeitrag an der Berlinale 2012, gibt's Applaus. Er gilt vor allem den Schauspielern.
Marko (Lars Eidinger) fährt mit seinem Sohn über das Wochenende zu seinen Eltern nach Süddeutschland. Sein Bruder Jakob ist in der alten Heimat geblieben und hat dort eine Zahnarztpraxis eröffnet. Marko ist kaum angekommen, da erzählt ihm sein Vater, einst ein erfolgreicher Verlagsleiter, dass er nun im Ruhestand ist und selbst ein Buch schreiben möchte. Auch Markos Mutter (Corinna Harfouch) hat eine, zumindest in ihren Augen, erfreuliche Nachricht: Die seit Jahren an Depressionen leidende Frau hat ihre Medikamente eingestellt. Doch die Neuigkeit rückt die Krankheit wieder in den Mittelpunkt der Familie und bald brechen weitere Geheimnisse hervor.
Nach seinem internationalen Politthriller Sturm kehrt Regisseur Hans-Christian Schmid wieder zur kleinen Form zurück. Mit wenigen Figuren erzählt er kammerspielartig von den Lügen und Geheimnissen eines links-liberalen Bildungsbürgertum-Haushalts. Doch ebenso wie das stilvoll ausgesuchte Interieur im Bauhaus-Stil Geborgenheit ausstrahlt, versuchen alle Beteiligten, ein harmonisches Familienbild zu wahren. Als die Mutter aber ihre Krankheit thematisiert, die das Miteinander bereits über Jahre geprägt hat, fallen über die Jahre aufgebaute Konstrukte in sich zusammen.
Was bleibt lebt hauptsächlich von seinen Figuren und weniger von einem aufwendigen Plot. Drehbuchautor Bernd Lange hat dafür präzise und lebensnahe Dialoge geschrieben, die in ihrer Dichte die Handlung stets vorantreiben. Unterstützt wird die Kraft der Worte von dem starken Cast: Auch dieser Film profitiert von Lars Eidingers unglaublicher Präsenz, doch Corinna Harfouch als depressive Mutter überstrahlt alle anderen. Wie sie versucht, ihr Leben trotz Krankheit zurückzugewinnen und darum kämpft, nicht mehr wie ein "Möbelstück" behandelt zu werden, das ist ebenso eindringlich geschrieben wie gespielt.
Doch obwohl Was bleibt* intensives Schauspielerkino ist, fehlen ein wenig die magischen Momente, die Schmids Filme sonst so eindringlich machen. Einzig die Szene, in der Marko am Klavier klimpert und plötzlich alle zusammen Charles Aznavours Klassiker "Du lässt dich gehen" singen, ist so ein Moment von melancholischer Schönheit. Dennoch hat Schmid, wenn auch etwas routiniert inszeniert, einen absolut sehenswerten Film gedreht, der vielleicht etwas hinter seinen Möglichkeiten zurückbleibt, aber dennoch zu berühren vermag.
Sie müssen sich zuerst einloggen um Kommentare zu verfassen.
Login & Registrierung