Bouboule Belgien, Schweiz 2014 – 84min.
Filmkritik
Dickerchens Befreiungsschlag
Wenn die Hormone ausser Rand und Band geraten, schlittern Teenager auf das Minenfeld der Emotionen. Wie der zwölfjährige Kevin, der hundert Kilo auf die Waage bringt, was die Sache verkompliziert. Ohnehin im Dauerclinch mit sich selbst, wird er noch von doofen Kameraden gehänselt und ausgegrenzt. Aber im feinsinnigen Film des Belgiers Bruno Deville reisst der Aussenseiter das Steuer herum: Der Laiendarsteller David Thielemans ist Bouboule, das Dickerchen. Er prägt mit Gelassenheit und Selbstironie ein hintergründiges Pubertätsdrama.
Kevin hat eine liebe Mama, die etwas überfürsorglich den oft abwesenden Papa ersetzen will. Und zwei Schwestern, mit denen er dank ein paar Verhaltenstricks gut klarkommt. Aber wirklich zufrieden ist der juvenile Fettkloss natürlich nicht. Als ihn sein Arzt dramatisch auf die Möglichkeit eines Herzinfarkts hinweist und eine gesündere Lebensführung empfiehlt, wird der Vielfrass hellhörig. Die empfohlene Wassergymnastik passt ihm zwar nicht, weil ein Dicker mit Titten im Schwimmbad garantiert gedemütigt würde. Aber Kevin will nun endlich was ändern. Und weil er so sympathisch rüberkommt, begleitet man ihn als Zuschauer gerne auf seiner Identitätssuche
Was Bouboule im Alltag fehlt, ist ganz klar ein männliches Vorbild. Gut, dass er auf den drahtigen Wachmann Patrick und seinen Hund Rocco trifft. Dieses Duo fasziniert den Buben und es ihm dabei total schnuppe, dass der plapperhafte Patrick in Bezug auf seinen angeblich Hochrisikojob massiv übertreibt, um die eigenen Probleme zu kaschieren. Kevin ist intelligent und wach: Er will dem Kumpel imponieren, realisiert aber auch, dass ihm der Kontakt persönlich einiges bringen wird. Drum rackert er sich auf der Kampfbahn ab, wird dadurch fitter und darf sogar kleine Aufträge für Patrick ausführen. Bald verliert Kevin Gewicht und wird selbstbewusster, was den plötzlich auftauchenden, dominanten Vater bass erstaunt. In einem Nebenstrang des unaufgeregt inszenierten Films beweist der aufblühende Protagonist sogar noch hohe Sozialkompetenz, weil er sich mit Hingabe um ein Mädchen kümmert, das von Suizidgedanken gequält wird.
Antoine Jaccoud, der notabene mit der Schweizer Erfolgsregisseurin Ursula Meier zusammenarbeitet, hat sein Drehbuch mit viel herbem Charme. schrägem Humor und tollen Dialogen gefüllt. Und er kommt ganz ohne platte Effekthascherei aus. Das ist der Grund dafür, dass Bouboule zur parabelhaften Verbeugung vor dem Anderssein an sich wird. Was ja, wie hier filmisch gekonnt und liebevoll beobachtet, oft eh nur eine Variante des vermeintlich Normalen ist.
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