Mitten ins Land Schweiz 2014 – 92min.
Filmkritik
Poetisch die Schweiz erfahren
Von Olten aus kommt man in einer halben Stunde in zahlreiche Städte der Deutschschweiz. Und von Olten aus reisend sammelt Mundartkünstler Pedro Lenz seine Geschichten. Im poetischen Dokumentaressay Mitten ins Land beobachten ihn die Filmemacher Norbert Wiedmer und Enrique Ros bei einer Bestandesaufnahme der Schweizer Befindlichkeit.
2014 war Der Goalie bin ig mit vier Auszeichnungen der grosse Abräumer an der Verleihung des Schweizer Filmpreises. Herausragend ist insbesondere das Drehbuch, das wie die kongeniale Romanvorlage von Schriftsteller Pedro Lenz virtuos auf der Tastatur der Dialektsprache spielt. So verwundert es wenig, dass auch im Dokumentarfilm Mitten ins Land viel Wert auf die Sprache gelegt wird. Lenz eröffnet gleich mit einem stürmischen Wortschwall, mit dem er fast schon musikalisch auf die folgenden Reisen einstimmt, zu den Personen und ihren Geschichten, die für ihn – zumindest für diese Erkundungstour – die Schweiz ausmachen.
Entsprechend seiner eigenen politischen Ausrichtung stehen bei der Spurensuche von Lenz einfache Arbeiter und ein polarisierender linker Politiker im Zentrum. In einer Geschichte begleitet er eine ehemalige Coiffeuse, die nun als Lokomotivführerin durch das Mittelland rast. Dabei hat sie auch schon einen Personenunfall erlebt. Sie berichtet, wie sie weniger über den Vorfall bestürzt ist, als vielmehr über ihre eigene Reaktion darauf. Dann heftet sich Lenz an die Fersen von Volkan Inler, der sein Geld als Mitarbeiter der Reinigungsequipe des Werkhofs Olten verdient. Daneben spielt er auch Amateurfussball beim FC Trimbach – fast wie sein weitaus bekannterer, fünf Jahre jüngerer Bruder Gökhan.
Näher am eigenen Leben von Lenz sind die Zwillingsschwestern Yolanda und Dolores, die gemeinsam im Restaurant «Flügelrad» in Olten arbeiten, das Lenz und seine Schreiberkollegen Alex Capus und Werner de Schepper betreiben. Pointiert politisch wird Lenz in den Episoden mit dem Aargauer SP-Politiker Cédric Wermuth, den er bei seiner Wahl in den Nationalrat, zu Auftritten im Bundeshaus und zu einer Diskussion mit Wermuths grossen Antipoden Christoph Blocher begleitet. Dazwischen besucht Lenz die eigenartige Mondlandschaft in der Sondermülldeponie Kölliken, wo wegen Umweltsünden der Vergangenheit gerade die grösste Aufräumaktion der Schweiz durchgeführt wird.
Die einzelnen Geschichten verbindet Lenz mit Texten, in denen er sich frei von Motiv zu Motiv assoziiert, vom Aromatstreuerland über minarettfreie Landschaften bis hin zu Ansichten über Gewinner und natürlich Fussball. Mit zärtlichem Schalk und scharfer Zunge seziert er die vorgefundenen und gesuchten Alltagsgeschichten. Mitten ins Land ist eine berührende Annäherung an den Schriftsteller, die Schweiz, die Schweiz des Schriftstellers. Dabei transportiert Lenz eine Werthaltung, die in konzentrierter Form in einer 1.-August-Rede und einer 1.-Mai-Ansprache zu Wort kommt.
Damit niemand in dieser Wortflut ertrinkt, streuen die Regisseure Norbert Wiedmer und Enrique Ros zwischendurch ausreichend ruhige Momente der Beobachtung ein, um wieder Luft zu holen oder wie Lenz es ausdrückt: "Luft hole und öppis us der Luft usehole."
Dein Film-Rating
Kommentare
Ein tolles Portrait des Mittellandes und es Mittelstandes. Mit geistreichen Dialogen, eindrucksvollen Bildern und bildreichen Eindrücken. Mir hat der Film super gefallen!
Gelöschter Nutzer
Verfasst vor 9 Jahren
Wieviele Dinge ziehen tagtäglich an unseren Augen vorbei, ohne dass wir sie sehen? Dieser Film zeigt uns viele Facetten des Alltags und führt uns vor Augen, dass das Leben viel komplexer und vielfältiger ist, als uns bewusst ist. Unterwegs im Zug von Enrique Ros und Norbert Wiedmer, mit Pedro Lenz als Reisebegleiter, geht man in diesem Schweizer (Rail) roadmovie auf eine kurzweilige Entdeckungsreise durch das Mittelland. „Mitten ins Land“ ist ein Muss für alle Kinoliebhaber, speziell für all jene, die zwischen den Alpen und dem Jura wohnen.… Mehr anzeigen
Ich fand den Film authentisch, sinnlich, toll, wunderschöne Poesie. Hammer. Ansehen lohnt sich.
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