Mulhapar Schweiz 2014 – 93min.
Filmkritik
Neuigkeiten aus dem Mittelalter
Paolo Poloni, der im Kino und Fernsehen heimische Schweizer Dokumentarfilmer, lernt einen Pakistani kennen, der aus Mulhapar stammt. Diese Chance ergreift Poloni und dokumentiert den Alltag der Dorfbewohner im Osten Pakistans, weil er ein Gegenbild zum Image in den Massenmedien schaffen will, das von Gewalt geprägt ist. Er zeigt tatsächlich einen großenteils friedlichen Kosmos eines mittelalterlich wirkenden Feudalsystems, kann wegen der unrepräsentativen Konstellation sein Ziel aber wohl nicht ganz erreichen.
Paolo Poloni, der Luzerner Secondo, entwickelt und realisiert unentwegt Kinodokumentarfilmprojekte, bei denen er meist Drehbuchautor, Regisseur, Kameramann, Schnittmeister und Produzenten in Personalunion verkörpert. Dazwischen beliefert er das Fernsehen mit Dokumentarfilmen. Bei seinem letzten Werk fürs Kino, Der Italiener, schloss er Bekanntschaft mit jemandem aus Mulhapar, einem Dorf im Osten Pakistans, das meistens dann in den Medien auftaucht, wenn geschossen und gemordet wurde.
Poloni will dieses negative Bild konterkarrieren, den Alltag und die Normalität zeigen. Das Dorf Mulhapar eignet sich nicht unbedingt dafür, denn es ist nicht repräsentativ für die Städte, wo die politischen Entscheidungen gefällt werden, es liegt im relativ ruhigen Osten, und Polonis Ansatz, eine christliche Unterschichtfamilie ins Zentrum seines Porträts zu stellen, mindert die Repräsentativität zusätzlich.
In Mulhapar ist der Anteil der Christen mit 20 Prozent ungewöhnlich hoch, das Feudalsystem mit fünf islamischen Clans, denen die gesamte landwirtschaftlich nutzbare Fläche gehört, aber wohl typisch. Poloni gelingt es nun tatsächlich, die Armen während ihrer Arbeit bei den Reichen zu begleiten und auch Gespräche zwischen beiden Parteien aufzuzeichnen. Er darf allerdings nie in die Häuser der Oberschicht hinein, eine Dachterasse oder ein Innenhof ist das nächste, wo er filmen darf.
Da er auf jeglichen Kommentar verzichtet, bleiben seine Bilder an der Oberfläche, auch wenn die Gespräche zwischen den Dorfbewohnern oft den Zusammenhang herstellen. Hier stößt das Konzept Polonis an seine Grenzen, der das Erzählerische und Fantastische mit seiner dokumentarischen Inszenierung evozieren möchte. Von den einfachen Leuten fängt er allerdings viel - hoffentlich - normales Leben ein, lässt den Familienvater seiner Fokus-Familie immer wieder zu Wort kommen, belauscht zwei Freundinnen und besucht die Dorfschule. Auch ein Verbrechen sorgt für Aufruhr. Alles in allem eine sympathische Reportage über ein Leben, das uns in seiner unreflektierten Gläubigkeit mittelalterlich anmutet.
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