Party Girl Frankreich 2014 – 95min.
Filmkritik
Mutter Courage von allen Sünden
Dieses Party-Girl ist über Sechzig, das Gesicht eine überschminkte Lebenslandschaft. Die braungefärbten Haare trägt Madame zu Locken gedreht hochtoupiert, erscheint gerne in engen Leggins mit Leopardenmuster, ist behängt mit Modeschmuck. Einst war sie Striptänzerin und Nutte, nun wartet sie als Animierdame im Cabaret „Las Vegas“ an der französischen Grenze zum deutschen Saarland auf Kunden. Oft vergeblich. Ihr Name ist Angélique Litzenburger und sie spielt im Film ihres Sohnes sich selber. Ganz grandios.
Zusammen mit zwei Studienkolleginnen hat Drehbuchautor Samuel Theis die Mama in einem authentisch anmutenden Drama mit lakonischem Unterton verortet. Angélique macht die Nacht zum Tag und ist in der Freizeit flott mit ihren jungen Freundinnen unterwegs. Doch als ihr der pensionierte Minenarbeiter Michel, einer ihrer langjährigen Freier, einen Heiratsantrag macht, lässt sie das nicht ganz kühl. Denn Michel ist ein recht lieber, pflichtbewusster Kerl, passionierter Tontaubenschütze und seine Emotionen wirken echt.
Angélique geht auf die Avancen ein und macht sich bald – unterstützt von ihren erwachsenen Kindern - an die Hochzeitsvorbereitungen. Dann kommt noch die 16jährige Tochter Cynthia (Cynthia Litzenburger) dazu. Sie ist bei einer Pflegefamilie aufgewachsen und lernt aus gegebenem Anlass endlich ihre richtige Mama kennen. Das ist allerdings eine Übung, die für alle Beteiligten nachvollziehbar keine leichte ist. Das zeigt das Autorentrio Maria Amachoukeli-Barsacq, Claire Burger und Samuel Theis auf und auch, dass es grundsätzlich kein Happy End auf dem Radar hat.
Angelehnt an den semifiktionalen, kraftvollen Erzählstil des US-Kultregisseurs John Cassavetes wird nämlich klar, dass im bewegten, wilden, freigeistigen Denken von Angélique für verkitschte Scheinlösungen und Gefühlsduselei kein Platz ist. Denn sie ist und bleibt eine Mutter Courage, die sich nicht dafür entschuldigen will, auch gerne mal Hure zu sein.
Was für den zunehmend frustrierten Michel hart ist. Er muss einsehen, dass es mit der späten Liebesidylle nicht so klappen wird, wie er sich das naiv erhofft. Allerdings bessert sich das Verhältnis zwischen der katzenhaft sturen gebrochenen Heldin und ihrem Umfeld. Denn was Angélique auch immer tut und nicht lässt, hat bei aller Fragwürdigkeit etwas Konsequentes und Stilvolles.
Party Girl ist das unprätentiöse, realitätsnahe, stark gespielte Porträt einer exzentrischen Frauenpersönlichkeit, die mit Mitgliedern ihrer von vielfältigen Stimmungsschwankungen betroffenen Familie ihre Vita gnadenlos offen und ungeschönt illustriert. So überzeugend, dass man als Zuschauer die verrückte Party-Nudel richtig lieb bekommt!
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