Spartiates Frankreich, Schweiz 2014 – 80min.
Filmkritik
Liebe durch Hiebe
Marseille gilt gemeinhin als urban-exotisches Bijou am Mittelmeer - obwohl die Hälfte der Bevölkerung in einem Umfeld lebt, das von Immigrationsproblemen, Arbeitslosigkeit, Bildungsmisere und Kriminalität gebeutelt wird. In dieser Parallelwelt fern des Tourismusschicks porträtiert der Westschweizer Nicolas Wadimoff bravourös einen jungen Kampfsportler. Und er zeigt dessen couragierten, missionarischen Kreuzzug für mehr Empathie und gegen politisches Taktieren, obrigkeitliche Willkür und Schlamperei.
Yvan Sorel ist ein Mixed-Martial-Art-Fighter mit internationaler Erfahrung und Renommee. Besonders in Marseilles Nordquartieren, seiner Heimat, ist er prominent und für Kollegen, Kinder und Jugendliche ein Hoffnungsträger. Weil er aus dem Nichts ans Licht getreten ist und nun mit Getreuen Sporttrainings mit mentalen Nebeneffekten anbietet. Als Coach macht Sorel seine Schützlinge durch Muskelstärke überlebenstauglich und als Erzieher impft er ihnen Werte wie Loyalität, Anstand oder Fairness ein. Ganz nach dem Motto: Liebe durch Hiebe.
In einem Sozioklima, wo viele leibliche Väter zum Vorbild wenig taugen, ist Sorel wie ein Ersatzvater. Er greift ein, wenn Jungs Dummheiten machen oder sich – was oft vorkommt – ihren Müttern gegenüber ungebührlich benehmen. Wadimoff schildert den Alltag seines schillernden virilen Helden plastisch, zeigt manche Facette seiner durchaus charismatischen Persönlichkeit. Zu spüren ist, dass seine Beziehung zum recht bauernschlauen, mit den Tricks von Selbstdarstellung und Selbstinszenierung wohlvertrauten Protagonisten von gegenseitigem Respekt geprägt war.
Doch Spartiates ist keine Ikonographie geworden, weil Sorel neben einigem martialischen Gehabe als ein von Existenzangst, Selbstzweifeln und Gefühlsschwankungen umflorter Mann erscheint, der private wie sportliche Niederlagen und Siege zu reflektieren weiss. Zudem öffnet der Film den Blick auf die Mechanismen eines (leider) vertrauten Machtspiels, das über das Malaise in Marseilles Vororten hinausweist. Er zeigt etwa Bürgerversammlungen, wo eine überforderte Bezirks-Bürgermeisterin auftritt. Einmal, um Sorels Antrag nach Unterstützung für sein Trainingszentrum mit Hinhalte-Floskeln und Ausreden abzuwimmeln. Einmal, um ihm schäbige Pokale für seine Sportkarriere zu überreichen; tragikomischer und entlarvender hat man Politiker-Posen selten gesehen!
Wadimoffs Film verzichtet übrigens auch formal auf jede Postkarten-Verklärung, zelebriert aber visuell eine famose Licht-Schatten-Dramaturgie. Sie passt punktgenau: Spartiates ist ein herzrührendes, subtiles Plädoyer für Empathie, Toleranz und Menschenwürde.
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