Nur eine Stunde Ruhe Frankreich 2014 – 79min.

Filmkritik

Die häuslichen Leiden des Monsieur Michel

Michael Lang
Filmkritik: Michael Lang

Michel lebt als Zahnarzt gutbürgerlich in Paris. Als Jazz-Aficionado sammelt er Vinylplatten-Raritäten, die er an Wochenenden allein anhört, derweil er als Egoist am sozialen Umfeld kaum interessiert ist. Das ändert sich jedoch, als in seinem Wohnhaus an einem Samstag das Chaos ausbricht. Dadurch wird Michel dauernd gestört und an Musikgenuss ist nicht zu denken. So die Ausgangslage für eine flotte Komödie von Patrice Leconte, in der Christian Calvier (Monsieur Claude und seine Töchter) die Hauptrolle famos spielt; angelehnt an die slapstickartige Mimik des Kultkomikers Louis de Funès.

2013 war "Une heure de tranquillité" als Bühnenstück ein Kassenhit, mit Fabrice Luchini als Zugpferd. In der Filmversion ersetzt ihn Christian Calvier bravourös. Er spielt Michel, einen eloquenten Mann um die 60, der Alltagsprobleme aalglatt bei Seite zu schieben oder zu ignorieren weiss. An besagtem Samstag aber ist Schluss mit lustig: Die depressive Ehefrau (Carole Bouquet) hat ein delikates Anliegen, plötzlich steht die aktuelle Geliebte auf der Matte und Michels Mama ruft ständig an. Zudem organisiert ein penetranter Mitmieter (Stéphane de Groodt, sehr gut!) eine Hausparty, trottelige Handwerker verursachen einen Wasserrohrbruch und Michels politisch aktiver Filius quartiert eine philippinische Asylantensippe im väterlichen Appartement ein.

Bei diesem Stresspotential sind die häuslichen Leiden des Monsieur Michel absehbar. Und sie werden zum Handlungs-Humus für ein gepfeffertes Boulevard-Spektakel. In Frankreichs Kulturszene sind sie hochbeliebt, weil sogar renommierte Künstler gegenüber der leichten Muse kaum Berührungsängste haben. Zu sehen ist das in Une heure de tranquillité, wo das Spektrum des Allzumenschlichen bis an die Schwelle zum Klamauk ausgelotet wird. Natürlich mit Esprit, Tempo und einem Protagonisten, der die Fettnäpfchen selber aufstellt, in die er hineintrampelt.

Das ganze Ensemble ist bei bester Spiellaune, bis in die Nebenrollen hinein: So glänzt Rossy de Palma (man kennt sie aus Filmen des Spaniers Pedro Almodóvar) als resolute Hausdame. Da schaut man gerne zu, weil bei aller gehobenen Blödelei aktuelle Themen, wie Sozialkompetenz oder Rassismus immerhin angetippt werden. Übrigens: Im Verlauf des Geschehens wird Michel, der einiges einstecken muss, immer sympathischer. Und man ist gespannt, ob er dazu kommen wird, seine Klarinettenjazz-LP mit dem sinnigen Titel "Me, Myself and I" anzuhören. Aber ja doch: Une heure de tranquillité ist - bis hin zur trefflichen Schlusspointe - intelligentes Unterhaltungskino.

17.04.2015

4

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Kommentare

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holiday88

vor 9 Jahren

Der Film ist kurzweilig, witzig und hat ein (aus meiner Sicht) sehr gut gelungenes Ende, welches den Zuschauer mit einem Schmunzeln aus dem Kinosaal entlässt. Ein echter Feel-Good-Movie!


rasmus99

vor 9 Jahren

Drei Lacher während des ganzen Films reichen mir nicht, um als Komödie durchzugehen.


8martin

vor 9 Jahren

Patrice Leconte hat die Fähigkeit, aus einer kleinen Belanglosigkeit einen abendfüllenden Film zu machen: Der Zahnarzt Michel Leproux findet auf einem Flohmarkt eine seltene Jazz LP und will sie sich anhören. Dazu braucht er wie im Titel angekündigt etwa eine Stunde. Der Film erzählt, was ihm alles dazwischen kommt und ihn daran hindert. Mit einem großartigen Christian Clavier, der seinen ‘Monsieur Claude‘ noch nicht ganz ablegen konnte, gelingt eine schwungvolle Komödie, die teilweise haarscharf an der Klamotte vorbeischrammt. Durch eine Entwicklung, die einmal in Gang geraten eine gewisse Eigendynamik entwickelt, ergeben sich immer neue Wendungen, die sich am Ende zu handfesten Überraschungen (z. B. bezüglich der Vaterschaft) mausern. Und die Anzahl der beteiligten Figuren weitet sich immer mehr aus und hält so das Interesse hoch: vom exzentrischen Dienstmädchen Maria (Rossy de Palma) über Elsa (Valérie Bonneton) die Geliebte von Leproux und seine leicht depressive Ehefrau Nathalie (Carole Bouquet). Beide Mädels steigern sich in eine wahre Coming-Out Geständnisorgie. Das ist blanke Komik pur. Hingegen Nachbar Pavel (Stephane de Groodt) ist sowohl ‘strange‘ als auch ein Vertreter vom Typ ‘Arme Sau‘. Die Immigranten, die zu beherbergen sind, passen nicht so ganz ins Bild. Stören aber auch nicht weiter. Der Knaller sind die polnisch/portugiesischen Installateure, die die Wohnung fluten. Klar, dass wir und Michel Leproux am Ende die LP hören. (Klassischer New Orleans Dixi). Und der Zuschauer verlässt swingend, wippend oder mit den Fingern schnippend das Kino. Rundum ein Feel-Good Movie.Mehr anzeigen


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