Colonia Frankreich, Deutschland, Luxemburg 2015 – 110min.

Filmkritik

Colonia

Patrick Heidmann
Filmkritik: Patrick Heidmann

Die Geschichte der Colonia Dignidad ist eine dunkelsten in der deutschen Geschichte der Siebziger und Achtziger Jahre, dabei ereignete sie sich am anderen Ende der Welt. 1961 gründete der in seiner deutschen Heimat unter dem Verdacht sexuellen Missbrauchs stehenden evangelische Jugendpfleger Paul Schäfer in Chile die Sekte, in der er den streng von der Außenwelt abgeschirmten Mitgliedern ein "urchristliches Leben" versprach. Das gesamte Ausmaß seiner Machenschaften – die von der Entführung Minderjähriger über Waffenschmuggel bis zur Unterstützung des chilenischen Militärputschs reichen – wurde dabei erst nach und nach ab Mitte der Achtziger bekannt.

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Diese ebenso wahren wie erschütternden Ereignisse, die ohne Frage eine filmische Aufarbeitung wert sind, dienen dem deutschen Regisseur Florian Gallenberger als Vorlage für seinen Kinofilm Colonia. Im Zentrum steht dabei ein fiktives Liebespaar: die junge Stewardess Lena (Emma Watson) und der Fotograf Daniel (Daniel Brühl), der sich in Santiago der für Allende kämpfenden Studentenbewegung angeschlossen hat. Während einer ihrer Besuche bei ihm verschwindet Daniel am 11. September 1973 mitten in den Wirren des Putsches spurlos und wird in einem Folterlager der Militärpolizei auf dem Gelände der Colonia Dignidad vermutet. Als einzige weigert sich Lena die Hoffnung auf seine Rettung aufzugeben – und schleust sich unerkannt als neues Mitglied in die Sekte von Paul Schäfer (Mikael Nyqvist) ein.

Dass Gallenberger, der einst für seinen Abschlussfilm den Kurzfilm-Oscar erhielt, bei historischen Themen einen gewissen Hang zum Plakativen an den Tag legt, bewies er schon bei John Rabe. Es dürfte also nicht allzu sehr überraschen, dass er in seinem neuen, auf Englisch gedrehten Drama sein spannendes, komplexes Thema vor allem als Hintergrund für eine kitschige Liebesgeschichte mit Thriller Elementen nutzt. Ärgerlich ist es allerdings trotzdem sehr, denn das von ihm selbst auch mitverfasste Drehbuch krankt nicht nur an flachen Dialogen und Ungereimtheiten, die von der Frage, ob sich zwei junge Deutsche damals wirklich freiwillig der Gefahr des nicht überraschend gekommenen Putsches ausgesetzt hätten, bis zum hanebüchenen Finale reichen. Viel bedenklicher ist es vor allem, wie arglos Gallenberger mit dem belanglos-vorhersehbar inszenierten Colonia seine Geschichte erzählt. Schäfer, der jahrzehntelang hunderte Menschen zu manipulieren vermochte, wird hier zum Abziehbild eines Filmbösewichts, dessen Untaten en passant verpuffen. Und dass die unfassbare Kollaboration deutscher Behörden mit Schäfer zur Plot vorantreibenden Randnotiz verkommt, statt im Fokus des Films zu stehen, ist geradezu ungeheuerlich. Klarer Fall von: Thema verfehlt!

14.04.2024

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Kommentare

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Schlosstaube

vor 8 Jahren

TOP!! Der Film gibt einen Eindruck der Hölle in welcher sich die Menschen in der Colonia Dignidad jahrzehntelang befunden haben. Eine Sekte innerhalb einer vom Imperialismus gestützen Militärdiktatur und selbst die Deutsche Botschaft ist kein sicherer Hort für die eigenen Landsleute. Absolut beklemmend und fesselnd von der ersten bis zur letzten Minute.Mehr anzeigen


Berufsromantiker

vor 8 Jahren

Ein sehr beeindruckender (geschichtlich untermauerter) Film. Hohe Schauspielkunst. Spannend. Bedrückend. Aber nix für meine zarte Seele.


cosima_sigrist

vor 8 Jahren

Bisher hatte ich überhaupt keine Ahnung, was sich in den 1970er Jahren in Chile abgespielt hat und auch von der "Colonia Dignidad" habe ich noch nie gehört. Mit einer hinzugedichteten Liebesgeschichte nimmt sich der Film diesem Thema an, was ich sehr gut finde, da das Thema dadurch viel greifbarer wird. Die Kritik der Redaktion, der Film sei vorhersehbar, kann ich nicht bestätigen. Ich habe mich keine Minute lang gelangweilt und war gespannt darauf, was als nächstes kommt und wie das Leben für die Leute in dieser Kolonie ausgesehen hat. Kleiner Abzug gibts für die beiden Charaktere, über die man leider wirklich sogut wie gar nichts erfährt!
Trotzdem hat mich der Film in seinen Bann gezogen und ich bin mit wackeligen Beinen aus dem Saal gegangen!Mehr anzeigen


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