Die Umarmung der Schlange Argentinien, Kolumbien, Venezuela 2015 – 125min.
Filmkritik
Hypnotischer Dschungeltrip
Der Kolumbianer Ciro Guerra zeichnet die Reisen zweier westlicher Wissenschaftler während der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts in den Amazonasdschungel nach und macht eindrücklich die Zerstörung der indigenen Kultur bewusst. – Ein delirierender Trip in Schwarzweiß, der Erinnerungen an Apocalypse Now weckt.
1909 drang der deutsche Ethnologe Theodor Koch-Grünberg in den Amazonasdschungel vor, 1940 der nordamerikanische Botaniker Richard Evan Schultes. Beide wurden vom gleichen Schamanen begleitet und beide hinterliessen Aufzeichnungen über ihre Reisen. Auf Basis dieser Reisetagebücher erzählt Ciro Guerra nicht hintereinander, sondern parallel von diesen über 30 Jahre auseinander liegenden Expeditionen und lässt sie ineinander fliessen.
Keine Aussenwelt gibt es hier, sondern von der ersten Einstellung lassen Guerra und sein Kameramann David Gallego in atmosphärisch starken Schwarzweissbildern, die einen suggesiven Sog entwickeln und an Miguel Gomes Tabu erinnern, den Zuschauer in die ebenso faszinierende wie fremde Welt eintauchen. Auf der Suche nach der Wunderpflanze Yakruna dringen die Forscher wie Martin Sheen in Francis Ford Coppolas Apocalypse Now oder Klaus Kinski in Werner Herzogs Aguirre immer tiefer in den Dschungel vor. Nie bekommt man dabei einen Überblick, denn immer ist die Kamera auf Augenhöhe der Reisenden, erst gegen Ende vermittelt sie in grandiosen Luftaufnahmen einen Eindruck von der Weite des Gebiets.
Die Reise in den Dschungel wird dabei auch zu einer Erkundung der Zerstörung der indigenen Kultur durch den Westen. Denn eine Kautschukplantage, auf der die Ureinwohner ein Sklavendasein führen, wird ebenso passiert wie eine Missionsstation, in der von den Padres, nicht nur die indigene Religion, sondern auch die Sprache verteufelt wird.
Während Marco Bechis in Birdwatchers in der Gegenwart von der Vernichtung der Amazonasvölker erzählte, blickt Guerra so in die Vergangenheit und bewahrt mit seinem Film eine untergegangene Kultur vor dem Vergessen. Gleichzeitig geht dieser visuell faszinierende und inhaltlich vielschichtige Trip über den historischen Blick weit hinaus, wenn der Forderung des Schamanen nach einem respektvollen Umgang mit der Natur das rücksichtslose Vorgehen der Weissen gegenübergestellt wird. In seiner Kritik an Raubbau, Profitgier und einer Wissenschaft, die zu Gewalt und Tod führt, sowie der Vorstellung der Überlegenheit der westlichen Kultur ist El abrazo de la serpiente ein absolut heutiger und zeitloser Film, der auch im Aufeinandertreffen gegensätzlicher Formen von Wissen zum Nachdenken anregt.
Denn während die Forscher mit Geräten wie einen Kompass oder einem Fotoapparat, die bei dem Schamanen Verwunderung, aber auch grosses Interesse wecken, arbeiten, ist die Welt der Indigenen eine magische, in der Träume und Einfühlen wichtiger sind als nüchtern sachliches Erkunden.
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