Gossenreiter Deutschland, Schweiz 2015 – 85min.
Filmkritik
Der rastlose Querdenker
Die Doku Gossenreiter widmet sich ausführlich dem Leben und Werk des Berner Künstlers Kurz Moritz Gossenreiter. Es entsteht das facettenreiche Bild eines stets getriebenen Freigeists.
Der aus Bern stammende Architekt, Künstler, Erfinder und Freigeist verstarb 2006 im Alter von 66 Jahren. Gossenreiter setzt dem Mann ein Denkmal, der mit seiner Kunst und als eigenwilliger Charakterkopf immer auch provozierte und aneckte. Dabei begibt sich das Werk zurück in seine Vergangenheit und zeigt seinen bunten Lebenslauf und seine vielfältigen Fähigkeiten auf. Als Architekt hatte er sich vor allem auf Umbauten vorhandener, alter Bausubsubstanzen spezialisiert. Vor allem dem Umbau von Altbauten und Bauernhäusern widmete er sich. Irgendwann begann er, seine Fähigkeiten als Erfinder und Bastler auszuleben. Er baute Segelboote, straßentaugliche Dreiradautos und mittelalterliche Musikinstrumente.
Die Biographien von Gossenreiter und dem Regisseur des Films, Marcel Wyss, sind sich gar nicht unähnlich. Beide in Bern geboren, schlug auch Wyss zunächst die Lehre eines ehrlichen Berufes ein, bei dem es vor allem auf Kreativität und Handarbeit ankommt: Konstrukteur und Maschinenzeichner. In den letzten Jahren arbeitete Wyss dann verstärkt als Regisseur. Gossenreiter ist sein erster Film seit der mittellangen, teilweise animierten Doku Work Hard Play Hard von 2012.
Eine Besonderheit an Gossenreiter ist die Fülle an seltenen Archivaufnahmen aus den 60er-, 70er- oder 80er-Jahren, aufgenommen mit dem Schmalfilm-Format Super8. Zu einer Zeit, als diese Kameras für viele noch nicht erschwinglich waren, verfügte Gossenreiter bereits über eine solche und machte exzessiv Gebrauch von ihr. Zu sehen sind z.B. seine neuesten tollkühnen Erfindungen wie Auto-Prototypen oder Boote, wie er in seiner Werkstatt schwitzt, grübelt und tüftelt oder natürlich auch Bilder, die zeigen, wie er sich im Privatleben, mit seiner Frau und den Kindern, gab. Die Bilder sind oft unscharf und verwackelt, was der Zeit ihrer Entstehung geschuldet ist, aber einen Großteil des sympathischen Charmes des Films ausmacht.
Und so entsteht allmählich das Bild eines stets getriebenen Freigeistes, eines eloquenten Querdenkers aber auch leidenschaftlichen Tüftlers, der immer wieder von Existenzängsten heimgesucht wurde. Daneben berichten Weggefährten, Freunde und seine Kinder ausführlich über den poetischen Provokateur. Bei den Einblicken in die alten Aufnahmen fällt zudem auf, dass Gossenreiter immer die Geschwindigkeit und das Vorankommen geschätzt hat. Stillstand war für ihn keine Option. Davon zeugen die vielen Impressionen, die den Künstler in Autos oder in Booten immer in Bewegung zeigen. Ein rastloses Leben, das irgendwann zu viel war für seinen Körper. 2007 erlag er im Boxring seinem dritten Herzinfarkt.
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