Unsere kleine Schwester Japan 2015 – 128min.
Filmkritik
Risse im Familienleben
Mangas werden hierzulande oft mit Action, schrägen Charakteren und quietschbunten Covern assoziiert. Hirokazu Kore-edas neuestes Werk wirkt diesem Klischee entgegen. Ein Manga hat ihn zu Our Little Sister inspiriert – einem ruhigen, feinen Film mit viel Poesie.
Ziemlich schnell glaubt man, die Charaktere der drei Schwestern erfasst zu haben, die zusammen in einem alten Haus leben. Die drei kochen zusammen, sorgen füreinander und necken sich. Die quirlige Chika arbeitet in einem Sportladen und isst gern, viel und schnell. Yoshina arbeitet in der Finanzbranche und gerät immer an die falschen Männer. Sachi, die älteste und ernsthafteste, arbeitet in der Palliativpflege und ruft ihre Schwestern immer wieder zur Vernunft auf. Doch bald zeigen sich die Abgründe. Der Vater hat die Familie verlassen, als die Kinder noch klein waren. Die Mutter ist vor einigen Jahren ebenfalls weggezogen, und Sachi nimmt ihr das noch immer übel. Diese Gefühle brechen auf, als der Vater stirbt und an der Beerdigung auch die Mutter auftaucht. Gleichzeitig erfahren die Schwestern von ihrer dreizehnjährigen Halbschwester Suzu. Spontan entscheiden sie, das Mädchen bei sich aufzunehmen. Jetzt, wo ein Kind zu den jungen Frauen stösst, wird aus der WG eine neue Familie.
Der japanische Regisseur Hirokazu Koree-eda wird oft mit dem Meisterregisseur Yasujiro Ozu verglichen. Wie Ozu lässt sich Kore-eda auf alltägliche Geschichten ein, beleuchtet intensiv familiäre Beziehungen. Einmal mehr deutet Kore-eda in diesem Film auf sensible Art Konflikte an und charakterisiert mit zarten, kleinen Gesten die Verhältnisse zwischen den Figuren.
In seinem letzten Film Like Father, Like Son (2013) ging es um die Beziehung zwischen Eltern und Kind. Auch wenn in Our Little Sister die Schwesternbeziehung im Vordergrund steht, ist das Verhältnis zu den Eltern elementar. Dabei kommen dem alten Haus und dem Garten eine wichtige Rolle zu, und es erstaunt nicht, dass viele Klänge und Bilder, die haften bleiben, damit zu tun haben: die Zikaden und Vogelstimmen, das Glockenspiel im Wind, Suzu beim Pflaumenpflücken. Haus und Garten wirken wie ein Sinnbild für die Familiengeschichte.
Das Haus sei stark verwinkelt, erklärt eine Schwester der jüngsten bei deren Einzug. Das lässt sich auch als Anspielung auf die familiären Beziehungen lesen. Und wenn die Schwestern bei weit geöffneter Tür in den Garten blicken und sich unterhalten, öffnen sie sich nicht nur einander, sondern auch einer neuen Welt, einer Zukunft ausserhalb des Hauses. Nicht zuletzt geht es in dem Film auch um Traditionen, die von Generation zu Generation weiterleben und irgendwann verschwinden werden. Dafür steht auch der Pflaumenbaum im Garten, aus deren Früchte die Schwestern Wein herstellen, wie es schon die Grossmutter getan hat.
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