20th Century Women USA 2016 – 119min.

Filmkritik

Diese Frauen sind nicht von gestern

Stefan Staub
Filmkritik: Stefan Staub

Eine Collage aus TV-Bildern der 1960er und -70er Jahre rollt die Zeitgeschichte auf und mündet in einer spontanen Selbstentzündung eines alten Ford Galaxy. Mit dem Höhepunkt der Punk-Ära und Jimmy Carters Abgang im weissen Haus markiert das Jahr 1979 nicht nur historisch gesehen einen Wendepunkt: Auch für den 14-jährigen Jamie (Lucas Jade Zuman) ist nun der Moment gekommen, sein Leben umzukrempeln und das Verhältnis zu seiner Mutter Dorothea (Anette Bening) neu zu definieren. Ihre Bemühungen, ihm mit dem Ex-Hippie William (Billy Cudrup) einen Ersatzvater vorzusetzen, fruchten nicht und als Jamie bei einem leichtsinnigen Spiel beinahe ums Leben kommt, spannt sie seine beste Freundin die 17-jährige Julie (Elle Fanning) und die feministische Fotografin Abbie (Greta Gerwig) ein, um ihm die Mann-Werdung zu erleichtern. Doch nun ist Jamie gleich mit drei divergierenden Auffassungen von Weiblichkeit konfrontiert, mit denen er irgendwie zurechtkommen muss.

Nachdem Mike Mills in der tragikomischen Beziehungsgeschichte Beginners (2010) seinen Umgang mit dem späten Coming-Out seines Vaters reflektiert hat, präsentiert er nun einen Film, der vom Verhältnis zu seiner Mutter inspiriert ist. Die autobiografisch gefärbte Geschichte siedelt er im Jahr 1979 an und zeichnet dabei ein nostalgisches und dennoch nicht verklärtes Generationenporträt: 20th Century Women verknüpft eine tragisch-komische Coming-of-Age-Geschichte mit einem vielschichtigen Porträt dreier Frauengenerationen. Es ist ein neugieriger, einfühlsamer Blick, den Mills auf seine drei Protagonistinnen wirft und trotzdem ist es eine eindeutig männliche Perspektive, die stark von der eigenen Biografie geprägt ist. Mike Mills hat die von Annette Bening gespielte Figur in einigen Punkten nach seiner Mutter modelliert und liess viele eigene Erinnerungen einfliessen, wodurch im Film auch eine persönliche Verbundenheit mit den Figuren spürbar wird.

Mills ist mit der Künstlerin und Filmemacherin Miranda July verheiratet und stammt aus derselben Generation wie Wes Anderson und Spike Jonze, deren Filme stilistisch verwandt sind. Ähnlich wie Jonze hat er sich erst mit Musikvideos und Kurzfilmen einen Namen gemacht, bevor er 2005 sein Kinodebüt Thumbsucker inszenierte. Und wie bei seinen Kollegen werden seine Filme von einer nostalgisch-melancholischen Weltsicht, einem collageartigen Inszenierungsstil und einer episodischen Erzählweise geprägt. Mit 20th Century Women gelingt ihm ein stimmiges Porträt einer vergangenen Ära, das trotzdem in keiner Sekunde verstaubt wirkt.

03.04.2024

4

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Kommentare

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sum21

vor 7 Jahren

Ein sehr einfühlsamer Film, der aufzeigt, wie ein Sohn ohne Vaterfigur aufwächst, und nur Frauen als Ansprechpartner hat.
Es verwundert mich, dass die Frauen an für sich über alles Bescheid wissen, aber Verhütungsmittel scheint bei den Frauen wie bei den Männern nicht zu existieren.


gimir

vor 7 Jahren

Grandiose Annette Benning mit einem Blick auf die emanzipierte Entwicklung ihres pubertären Sohn.


psulzer

vor 7 Jahren

Grossartig! Sehenswert, ein Beispiel wie amerikanisches Kino auch sein kann. Schöner Soundtrack und gute Schauspielerinnen.

Zuletzt geändert vor 7 Jahren


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