CH.FILM

A Long Way Home Schweiz 2018 – 73min.

Filmkritik

Die Geister der Vergangenheit

Julian Gerber
Filmkritik: Julian Gerber

Luc Schaedlers Dokumentarfilm A Long Way Home begleitet fünf bedeutende Exponenten der chinesischen Gegenkultur, die alle verbunden sind mit der von Gewalt und Unterdrückung geprägten Geschichte ihres Landes.

Kunst kann schön sein, Kunst kann zum Nachdenken anregen: Im Fall der chinesischen Künstler in A Long Way Home bedeutet Kunst aber immer auch Kritik an den herrschenden Verhältnissen. Und diese Kritik ist nicht gerne gesehen – vor allem in einem Land wie China, wo Zensur herrscht und versucht wird, Vertreter der Gegenkultur mundtot zu machen. Doch zu schwer lastet die düstere chinesische Historie auf den persönlichen Schicksalen, um diese einfach so totzuschweigen.

Luc Schädlers Dokumentarfilm erzählt die Geschichte der bildenden Künstler Gao Brothers, der Choreografin und Tänzerin Wen Hui, des Animationsfilmers Pi San und des Dichters Ye Fu. In ihrem Schaffen verarbeiten sie das Leid der Vergangenheit: Prägende Ereignisse wie die Demokratiebewegung von 1989 und die Kulturrevolution von 1966-1976, die sich ins chinesische Kollektivgedächtnis eingebrannt haben. Doch ihre Kunst ist weit mehr als Vergangenheitsbewältigung, schlägt sie doch immer auch Brücken zur aktuellen Lage in China.

In A Long Way Home geht es nicht nur um Kunst und ihre Wirkmacht, sondern auch um persönliche Familienschicksale, die tief blicken lassen in die Seele des chinesischen Volkes – so dringt die Problematik auch zum Zuschauer durch. Schaedler gelingt es dabei, den Akteuren starke Statements zu entlocken, die nicht wie Floskeln daherkommen, sondern den Antrieb für ihr Schaffen verdeutlichen. Der Film spitzt sich im Verlaufe der 73 Minuten Spielzeit immer mehr zu: So ist es nicht nur der Protest, der die Akteure verbindet, sondern vielmehr ihre gemeinsame Geschichte, die sie in ihrem Dasein geformt hat. Die Dokumentation steuert auf zwei historische Ereignisse zu, misst der aktuellen politischen Kunst jedoch etwas zu wenig Bedeutung zu: Es wird zu wenig deutlich gemacht, was es bedeutet, im China des 21. Jahrhunderts kritische Kunst zu machen. Trotzdem zeigt A Long Way Home eindrücklich, wie die Geister der Vergangenheit auch heute noch den chinesischen Alltag beeinflussen, und wie Künstler – geprägt durch ihre persönlichen Schicksale – versuchen, diese Geister auszutreiben.

05.06.2024

4

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Kommentare

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Gelazi

vor 6 Jahren

Ein wunderschöner und hochaktueller Dokumentarfilm über China und über uns.


marianna_kropf

vor 6 Jahren

Anfänglich scheinbar wahllose, unverfängliche KünstlerInnen-Portraits verdichten sich zu einer Reflexion über eine rezente chinesische Vergangenheit der all-präsenten Kontrolle, Bedrohung, und Brutalität, hin zur Vergangenheitsbewältigung, und der Suche nach einem Umgang mit körperlich und geistig verankertem Leid, und Scham - Transformation zu einem konstruktiven/produktiven Umgang mit Erinnerung. Die Suche nach Erinnern und Verstehen, das die Grundlagen bieten kann, in der Zukunft richtig zu entscheiden und zu handeln.Mehr anzeigen


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