Centaur Frankreich, Deutschland, Kirgisistan, Niederlande 2017 – 89min.

Filmkritik

Vom Verlust und Verrat alter Werte

Rolf Breiner
Filmkritik: Rolf Breiner

Ein wuchtiger Film aus Kirgisien/Kirgistan. Er erzählt von einem Mann namens Zentaur, der an alte Mythen glaubt und hofft, einen Fluch zu brechen, der über den Kirgisen lastet. Sie haben die Pferde, wichtige Wesen ihres Lebens, zur Ware gemacht. So reitet der Zentaur nachts mit fremden (geklauten) Pferden durch die Nacht, um den Fluch zu brechen. Der Kirgise Aktan Arym Kubat schuf eine wunderbare Allegorie über verlorene Mythen und Unschuld, Wertewandel und Verlust.

Da reitet einer durch Nacht und Wind…nein, es ist nicht Goethes «Erlkönig», sondern der Kirgise Zentaur. Er fühlt sich als Nachkomme der Mischwesen, halb Mensch, halb Pferd, und glaubt unbeirrt, dass die Kirgisen von eben jenen mythischen Zentaurn abstammen – weil sie jedoch die Tiere verraten und zur Ware degradiert haben, leider sie unter einem Fluch. Zentaur (Aktan Arym Kubat, der auch hinter der Kamera das Zepter in der Hand hielt) war einst Filmvorführer, lebt jetzt mit seiner gehörlosen Frau Maripa (Zarema Asanalieva) und seinem kleinen Sohn Nurberdi in einer (fast) abgeschiedenen Bergregion weit über Bischkek, der Hauptstadt Kirgisiens. Selbst hierher war das Kino gekommen, doch nun ist es geschlossen.

Die Phantasie lebt, mindestens die vom Zentaur, doch ansonsten haben Besitzdenken, Materialismus, Misstrauen und Missgunst Einzug gehalten. Die Werte haben sich gewandelt. Pferde, einst Lebensgefährten, Verbündete und Mitwesen, sind Spekulationsobjekte und Ware geworden. Zentaur glaubt, dass deswegen ein Fluch über seinem Volk liegt, und nur ein Reiter mit einem edlen Ross in einer Vollmondnacht den Schutzherrn der Pferde bewegen könne, den Fluch zu bannen.

Ein Pferdedieb treibt sein Unwesen. Eigentümlich nur, dass die Pferde nicht entführt und verschachert werden, sondern irgendwo frei gelassen wieder auftauchen. Es braucht nicht viel Phantasie (für den Zuschauer), um die Identität des Reiters in der Nacht zu erkennen. Der Mann im Dorf, Sadyr, der Bruder des Zentaur, der im Dorf das Sagen hat, stellt dem Pferdedieb eine Falle. Er wird geschnappt, und die Dorfversammlung beurteilt und verurteilt ihn.

Mythos, Tradition und unerbittliche Realität – der kirgisische Regisseur Aktan Arym Kubat, Autor und Hauptdarsteller in einer Person, inszeniert eine Parabel über Mensch und Tier, Mythos, Moral und Menschsein. Die Bilder vom entfesselt reitenden Zentaur ist Ausdruck einer Freiheit, die er zurückerobern möchte, indem er quasi gegen einen mythischen Fluch anreitet. Der Träumer, der an eine Legende glaubt und ihr nachlebt, wird in die Schranken gewiesen, und doch kann er ein Zeichen setzen, auch gegen moderne «Werte». Insofern ist der wunderbare Spielfilm «Zentaur» eine Allegorie über Verrat und Verlust. Ein bisschen Hoffnung bleibt immer, auch das zeigt der Film aus einem fernen Land, der uns aber doch nahekommt.

16.09.2021

5

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