Peter Handke: Bin im Wald. Kann sein, dass ich mich verspäte... Deutschland 2016 – 89min.

Filmkritik

Schriftbilder oder Lebende Literatur

Rolf Breiner
Filmkritik: Rolf Breiner

Nach ihrem Malerporträt Gerhard Richter Painting wandte sich Regisseurin Corinna Belz dem Literaten Peter Handke zu. Über Jahre suchte sie den Kärntner Schriftsteller in seiner Idylle nahe Paris auf und erkundete Handke, seine Alltäglichkeiten und Besonderheiten – in Archivbildern und Polaroidaufnahmen (von ihm selbst), Gesprächen, Texten, Dokumenten.

Der Filmtitel Peter Handke: Bin im Wald. Kann sein, dass ich mich verspäte könnte auch eines seiner Werke meinen. Man denke an die Abhandlung «Die Innenwelt der Aussenwelt der Innenwelt», an den Roman «Die Angst des Tormanns beim Elfmeter» oder an Abhandlungen wie «Der kurze Brief zum langen Abschied». Im aktuellen Filmfall handelt es sich indes um eine Notiz, die Handke der Filmerin Corinna Belz hinterlassen hat. Oft ist er im umliegenden Wald seines Landsitzes in Chaville bei Paris unterwegs, sammelt Pilze, hält inne. Tatsächlich sehen wir den bald 74jährigen Schriftsteller beim Pilzesortieren, bei alltäglichen Handgriffen, umgeben oder soll man sagen umschlossen von Büchertürmen. Geschickt blendet die Filmerin Buchtitel ein, und die türmen sich. Unzählige Arbeiten, Abhandlungen, Äusserungen markieren seinen Weg – von der «Publikumsbeschimpfung» (1966) über Theaterstücke («Kaspar», «Die Unvernünftigen sterben aus», 1974, Uraufführung im Theater am Neumarkt, Zürich) bis zu Gedichten, Romanen, Aufzeichnungen, Skizzen. Eingestreut werden Polaroidaufnahmen aus Handkes eigenem Fundus. Dazu sind Bilddokumente beispielsweise über die berühmte «Publikumsbeschimpfung», aber auch über die «Gruppe 47» wiederzusehen wie auch Filmszenen aus Falsche Bewegung (1975) oder Der Himmel über Berlin (Regie: Wim Wenders, 1987).

Corinna Belz bleibt am Mann und seinen Worten, an Texten und Begebenheiten, ohne dass ihr Film sich als bebilderte Vorlesung entpuppt. Handke, der Unnahbare, kommt uns näher. Ein paar familiäre Einsprengsel – etwa mit den Töchtern Amina und Léocadie sowie besagte Polaroidaufnahmen – reichen, um den familiären Hintergrund zu skizzieren. Auch seine umstrittenen Positionen und Äusserungen zum jugoslawischen Bürgerkrieg werden journalistisch angesprochen. Handke hatte sich für die Serben eingesetzt und den Serbenführer Miloŝević, wegen Kriegsverbrechen angeklagt, besucht. Es gibt diesbezüglich ein paar Erklärungen auch seitens Handkes Ehefrau Sophie Semin, aber keine Klärung.

Fraglos gelingt es Corinna Belz, die unter anderem auch in Zürich studiert hatte (Philosophie, Kunstgeschichte und Medienwissenschaften) und für Gerhard Richter Painting mit dem deutschen Filmpreis ausgezeichnet wurde, mit ihrem Film die Aufmerksamkeit auf die Worte zu lenken. «Es war eine neue Herausforderung, den Bogen vom Bild zur Schrift zu spannen, zum Schriftbild – und mir die Frage zu stellen, ob ich eine Form für das Kino finden kann, in der der Zuschauer manchmal vom Betrachter zum Leser wird.» Das vermag ihr Film spannend, intim zu vermitteln. So entstand ein sehr literarischer Film, kein Biopic, sondern eine geistreiche Begegnung mit einem einsiedlerischen Literaten.

14.11.2016

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