Facteur Cheval Frankreich 2017 – 105min.

Filmkritik

Ein Landbriefträger mit einer Vision

Irene Genhart
Filmkritik: Irene Genhart

Nils Tavernier schildert an der Grenze von Biopic und Historienfilm die Entstehung des „Palais idéal“: ein Ende des 19. Jahrhunderts im Südosten Frankreichs geschaffenes Bauwerk, das zu den originellsten Monumenten der Volkskunst zählt.

„10‘000 Tage, 93‘000 Stunden, 33 Jahre Anstrengung“ steht in die Aussenwand gemeisselt: Gigantisches hat Joseph Ferdinand Cheval mit dem Bau seines „Palais idéal“ geleistet. Dabei ist Cheval, 1836 im südostfranzösischen Charmes-sur-l’Herbasse geboren, 1924 im wenig entfernten Hauterives verstorben, bloss ein einfacher Mann: Sohn einer Bauernfamilie, der Bäcker lernt, 31-jährig in den Postdienst eintritt und ab 1869 während 29 Jahren in Hauterives und Umgebung die Post verteilt und dabei zu Fuss täglich 32 Kilometer zurücklegt.

Sein Privatleben ist nicht sonderlich glücklich: Sein Erstgeborener stirbt als Kind, wenig später stirbt seine erste Frau, den Zweitgeborenen platziert man fremd, weil Cheval – als Postbote, zudem bekannt als Träumer – für diesen unmöglich alleine sorgen kann. Doch dann lernt Cheval die verwitwete Marie-Philomène Richaud kennen. Sie ist gewohnt zuzupacken, nimmt Cheval wie er ist, und gebiert ihm eine Tochter, Alice.

In der Phase dieses Glücks – Cheval erleidet später weitere Schicksalsschläge – beginnt er zu kreieren, wofür er heute bewundert wird: den „Palais idéal“, ein fantastisches Bauwerk, das in vielem an orientalische Tempelbauten erinnert. Dieses gilt lange Zeit als Skurrilität. Auch wird Cheval, als er in seinem Garten mit seltsam geformten Steinen, die er unterwegs findet, zu bauen beginnt, vom Dorf ausgelacht. Doch Philomène und Alice stehen zu ihm. Und auf den Postkarten, die er verteilt, findet er bisweilen Bilder von Prachtbauten aus aller Welt, die ihn beflügeln.

Nils Tavernier hat die Geschichte von Joseph Ferdinand Cheval und seinem Palast, zu dem sich in späteren Jahren übrigens auf dem Friedhof von Hauterives ein nicht minder fantastisches Grabmal gesellt, mit viel Sinn für die herbe Schönheit der Landschaft und grossem Herz für seinen eigenwilligen Protagonisten gedreht. Jacques Gamblin spielt den kauzigen Kerl, der seine Gefühle kaum in Worte, umso prächtiger aber Mörtel und Stein zu fassen versteht, mit verhaltenem Charme und verinnerlichter Leidenschaft.

Auch wenn die Story bisweilen holpert und Tavernier, auf Cheval, Philomène und Alice fokussierend, es leider verpasst, vertiefend auf das Bauwerk einzugehen, vermag Facteur Cheval als historisches Biopic durchaus zu überzeugen.

15.07.2019

3.5

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Kommentare

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Fred von Bern

vor 5 Jahren

Ein sehr spezieller Film. Auch ein wenig traurig. Man muss das Geschehen auf sich einwirken lassen. Aber sehenswert.


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