Lucky USA 2017 – 88min.

Filmkritik

Lucky Harry

Urs Arnold
Filmkritik: Urs Arnold

Ein Requiem für Harry Dean Stanton: In Lucky spielt der grosse Schauspieler eine seiner letzten Rollen – und mehr als je zuvor sich selbst.

Der Arzt kann es nicht glauben. „Sie sind ein anatomisches Wunder“, raunt er. All die Jahre des Rauchens haben seinem betagten Patienten weder Herz noch Lunge geschadet. Doch trotz des positiven Attests ist Lucky (Harry Dean Stanton) hier und jetzt bewusst: Es wird zu Ende gehen.

Luckys greises Leben war bis dato von Routine geprägt. Routine, die sich anfühlt, als könnte sie ins Endlose weitergeführt werden. Aufstehen, Leibesübungen, Kaffee und Kreuzworträtsel im Diner, Kippen kaufen, TV schauen, am Abend den gleichen Drink mit den gleichen Leuten in der gleichen Bar trinken. Luckys Tagesstruktur würde andere wahnsinnig machen – ihm aber gibt sie in der Absenz einer Familie Halt. Im kleinen Kaff, in dem er wohnt, schätzen die Menschen den verschrobenen Mann, auch wenn er für viele ein Mysterium darstellt. Mit der Einsicht, das sein Leben dem Sendeschluss nahe ist, geht der Atheist in sich, um einige letzte Fragen zu klären – oder es zumindest zu versuchen.

Wenigen Schauspielern ist es vergönnt, es über Nebenrollen zum Ikonenstatus zu bringen. Harry Dean Stanton erreichte diesen cineastischen Ritterschlag, indem er immer wieder unergründbare Figuren spielte, etwa in den Filmen von David Lynch, der in Lucky eine Nebenrolle innehat. Sein markantes, hageres Gesicht und seine wehmütigen Augen brannten sich ein, weit stärker als seine Worte. Am 15. September 2017 verstarb Stanton mit 91 Jahren in Los Angeles.

Der wunderbare Indiefilm Lucky darf man in zweifacher Hinsicht als ein Geschenk bezeichnen. Als eines an Stanton, der ganz am Ende seiner Karriere nochmals eine seiner seltenen Hauptrollen spielen darf, und dabei mehr als je zuvor sich selbst verkörpert, mit all seinem lakonischen Witz und seinem unfassbaren Wesen. Gleichfalls ist es ein Geschenk für das Publikum, ihn ein letztes Mal formatfüllend zu sehen, in jeder Szene. Lucky versammelt berührende Momente der Skurrilität und des Tiefsinns in einer Umgebung von dörflicher Profanität, und dies ungekünstelt und echt. In diesem Kontext wirkt auch David Lynchs Jammern über seine entlaufene Schildkröte nicht als skurriler Gag, sondern als ergründbares Anliegen.

John Carroll Lynch, der mit seinen Nebenrollen in Filmen wie Zodiac, Fargo oder Shutter Island selber zu einem profilierten Schauspieler in Hollywoods zweiter Reihe wurde, gibt mit Lucky ein Regiedebüt, das trotz seiner unspektakulären Aufmachung enorm viele Facetten enthält: Drama, Witz, Tiefgründigkeit, Liebe, Schmerz, Hoffnung, grosse Menschlichkeit und kleine Episoden der Poesie. So long, Harry!

15.02.2024

4

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Kommentare

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Berufsromantiker

vor 6 Jahren

Ein ruhiger Film zur Entschleunigung des eigenen Lebens und zum Philosophieren. Keine Action. Schöne Bilder. Das hier ist das echte Leben und das ist meist unspektakulär. Meine eigene Zufriedenheit wurde durch diesen Film gesteigert. Und das ist doch etwas,oder?


sweetsalami

vor 6 Jahren

Wer eine karikatureske Auseinandersetzung mit dem Thema der eigenen Sterblichkeit sucht, ist mit "Lucky" bedient. Allen anderen, welche nach einer respektvollen oder zumindest ansatzweise einfühlsamen Angehensweise suchen, rate ich von diesem Film ab.
Einzig der Szene beim Doktor kann man nichts entgegensetzen, der ganze sonstige Rest des Filmes hingehen schien mir unbeabsichtigter Spott gegenüber dieses Themas aufgrund unzureichender empfindsamer Art auf Seiten des Regisseurs und der Drehbuchautoren.Mehr anzeigen


zero-273

vor 6 Jahren

Wieder mal ein Film der beweist, dass es keiner grossen Action-Szenen bedarf um gutes Kino zu machen. Handlung - abgesehen von der täglichen Routine - gibt es eigentlich keine, passieren tut auch nicht viel. Einfach ein rührendes und urkomisches Porträt eines kauzigen alten Mannes und einer Dorgemeinschaft irgendwo im Süden der USA. Am Ende hat man sowohl die Filmfigur (Lucky) wie auch den Hauptdarsteller ins Herz geschlossen. Grosser Abgang, Harry Dean Stanton - wir werden dich vermissen.Mehr anzeigen


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