Stronger USA 2017 – 119min.

Filmkritik

Blut, Schweiss und Tränen

Irina Blum
Filmkritik: Irina Blum

Viele werden sich noch daran erinnern können, als die Bilder des Attentats am Boston-Marathon 2013 über die Bildschirme flimmerten. Die Ereignisse von 2013 rollte schon das Action-Drama Boston mit Mark Wahlberg auf – bei Stronger liegt der Fokus nun weniger auf den Anschlägen selbst, sondern auf einem Einzelschicksal: Der wahren Geschichte von Jeff Bauman, der bei den Anschlägen beide Beine verloren hatte.

Für Jeff Bauman (Jake Gyllenhaal) ist der 15. April 2015 kein gewöhnlicher Tag. Deswegen nicht, weil der 27-Jährige auf Teufel komm raus seine Ex-Freundin Erin (Tatiana Maslany) zurückgewinnen will, sie deshalb beim Boston-Marathon auf der Zielgeraden mit einem selbst gebastelten Plakat anfeuert – und später im Spital ohne seine zwei Beine aufwacht. Das Foto, wie der junge Mann an der Unfallstelle ausdruckslos ins Leere blickt, ging damals um die Welt – nach diesem Schicksalsschlag muss sich Jeff alleine und mit viel Mühe und Aufwand wieder zurück ins Leben kämpfen. Zur Seite steht ihm dabei nicht nur Erin, sondern auch seine Mutter (Miranda Richardson), mit der er auch schon vor dem Unfall zusammengewohnt hat.

Das Spezielle an Stronger ist, dass dem Schicksalsschlag selbst, also dem Attentat, praktisch keine Aufmerksamkeit geschenkt wird – vielmehr beobachtet man während der meisten Zeit des knapp zweistündigen Films einen wenig ehrgeizigen, liebevollen wenn auch manchmal etwas nachlässigen und launischen jungen Mann, der mithilfe seines Umfelds seinen Platz in der Gesellschaft sucht und ein Trauma zu überwinden hat. Dass bei Jeff schon vor seinem Schicksalsschlag nicht alles wie am Schnürchen gelaufen ist – er meistert seinen Job im Supermarkt mehr schlecht als recht, prügelt sich nach einigen Drinks auch schon mal in der Bar und wurde von Erin verlasen, weil er praktisch nie da war – hilft der klassischen Steh-Auf-Story, nicht in die Moralapostel-Falle zu tappen. Dass der für sentimental-patriotische Szenen prädestinierte Film genau diese weitestgehend umschifft, dafür sorgen auch die schonungslos ehrliche Vorlage von Jeff Bauman selbst und das Drehbuch von John Pollon: Indem eben jene Schwächen und Alltagsprobleme des Protagonisten auch bewusst gezeigt werden. Jake Gyllenhaal muss die Rolle körperlich einiges abverlangt haben, wenn zum Beispiel gezeigt wird, wie schwierig es für Jeff ist, alleine aufs WC zu gehen oder welche Probleme sich nach einem Schicksalsschlag wie diesem sexuell gesehen für ein Pärchen auftun.

Genau mit diesen Szenen wird Stronger zu einem intimen Einblick in das Leben einer Person, die mit dem Leben hadert: Jeff äussert sich häufig sarkastisch-leichtfällig über seine Behinderung, verfällt danach aber oft dem Selbstmitleid. Dass er, der Überlebende der Anschläge, zum Symbol von Boston Strong wird, ist dem introvertierten Mann dann auch schon beinahe peinlich. Gyllenhaal trägt mit einer Award-verdächtigen Performance seinen Teil dazu bei, dass die reale Person Jeff Bauman mithilfe dieser Mischung aus Zuversicht und Willensstärke, aber auch dunklen Momenten voller Trauer und Resignation auf der Leinwand sympathisch und authentisch rüberkommt. Seine Partnerin Tatiana Maslany (bekannt aus der Serie «Orphan Black») tut ihr Übriges, dass sich die Beziehung zwischen ihr und Jeff echt anfühlt – und mehr noch: Einen grossen Teil des Filmes mit der Frage füllt, was solche Schicksalsschläge, die das ganze Leben umkrempeln, mit unserem Umfeld anstellen.

20.02.2024

4

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Kommentare

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nick74

vor 6 Jahren

Nicht schlecht, jedoch hat mir der letzte Schliff gefehlt.


as1960

vor 6 Jahren

"Stronger" erzählt die wahre Geschichte von Jeff Baumann, welcher beim Attentat auf den Boston-Marathon beide Beine verlort. Sowohl die Hauptfigur wie auch die ganze Familie wird in Grautönen, und somit auch mit unsympathischen Seiten gezeigt, was der Authentizität zu gute kommt. Dies, und der wiedermal sehr überzeugede Jake Gyllenhaal machen "Stronger" tatsächlich stärker als manch vergleichbares Werk.Mehr anzeigen


Travelmichi

vor 6 Jahren

Tolles Drama exzellent gespielt, allen voran Jake Gyllenhaal und auch Tatiana Maslany war hervorragend.
Unglaublich wie man in einer solchen Situation zu einem Helden wird, nur wenn man zur falschen Zeit am falschen Ort ist.
Muss man gesehen haben, aber nicht zwingend im Kino.


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