Una mujer fantástica Chile, Deutschland, Spanien, USA 2017 – 104min.
Filmkritik
Die stolze Trauer einer Trans-Frau
Nach einer gemeinsamen Nacht werden Marina und Orlando jäh aus dem Schlaf gerissen: Orlando beklagt sich über Schmerzen in der Brust, das Paar fährt voller Panik ins Krankenhaus. Dort können die leitenden Ärzte leider nur noch seinen Tod feststellen. Als wäre das nicht schwierig genug, ist Marinas Liebhaber auch noch 20 Jahre älter als sie – und sie eigentlich als Mann geboren. Das zieht nebst einem traurigen Schicksalsschlag weitere Ereignisse nach sich, die Marina zunehmend ins Abseits drängen. Una mujer fantástica ist ein eindringlicher Film über eine starke Frau, der dem Zuschauer subtil die traditionellen Geschlechtervorstellungen vor Augen hält und gleichzeitig verwischt.
Marina Vidal arbeitet in einem Restaurant, sie singt leidenschaftlich gern, ihr Liebhaber heisst Orlando, 20 Jahre älter als sie. Das Problem: Als dieser überraschend nach einer gemeinsamen Nacht verstirbt, konzentriert sich die ganze Wut und Trauer von Orlandos Noch-Ehefrau und Verwandten auf die ahnungslose Marina, wegen welcher der Verstorbene seine Familie verlassen hat. Kommt hinzu, dass Marina eine Transgender-Frau ist: als Mann im falschen Körper geboren. Die Familie fühlt sich von dieser doch eher seltenen sexuellen Identität bedroht und wirft sie aus der Wohnung, aus der sie gemeinsam mit Orlando gewohnt hat, schliesst sie von der Beerdigung aus und nimmt ihr Orlandos Hund weg, den Orlando ursprünglich ihr vermachen wollte.
Man merkt, dass sich Marina weitaus mehr Demütigung gewohnt ist als jene von der Familie ihres verstorbenen Liebhabers. Erhobenen Hauptes geht sie auch nach dem Schicksalsschlag und dem rauen Wind, der ihr entgegenschlägt, durchs Leben - sogar als sie von Orlandos Sohn auf offener Strasse überfallen wird und in einer Hintergasse, den Kopf mit Klebeband verunstaltet, wieder freigelassen wird. Regisseur Sebastián Lelio versteht es geschickt, die Transgender-Frau als starkes Opfer zu präsentieren, das zwar innerlich zu leiden scheint, sich aber nie unterkriegen lässt.
Auch die Darstellung von Marinas Weiblichkeit ist gelungen. Lange, leicht gewellte Haare, gelbes Mini-Kleid, der Lidstrich sitzt: Beim Anblick von Marina bleibt auf den ersten Blick kein Zweifel, dass sie eine Frau ist. Subtil werden dann aber plötzlich Unterschiede zum weiblichen Geschlecht bemerkbar – zum Beispiel, wenn Marina sich in der Damenumkleide der Sauna neben anderen Frauen umzieht und dann in die Abteilung der Männer wechselt, um Orlandos Schliessfach in seiner Stammsauna zu leeren. Die unheimlich authentische Darstellung der Transgender-Frau Marina ist auch der grossartigen, unglaublich ausdrucksstarken Performance von Daniela Vega zu verdanken, die selbst einen transsexuellen Hintergrund hat.
Anders als in anderen Filmen über Transsexualität wie zum Beispiel dem oscarprämierten Drama The Danish Girl zeigt Una mujer fantástica nicht den Prozess einer Geschlechterumwandlung und die Hürden, die diese mit sich bringt, sondern beleuchtet die Zeit danach - wenn man Zeit hatte, sich in seiner neuen Rolle einzufinden und sich seinem Umfeld anzupassen. Una mujer fantástica, der dieses Jahr im Berlinale-Wettbewerb zu sehen war, zeigt ganz subtil, wie stark solche Personen noch immer diskriminiert werden – sei es nur durch auffällige Blicke auf der Strasse – und wie festgeschrieben unsere gesellschaftliche Definition vom weiblichen und männlichen Geschlecht ist. Ganz bewusst spielt Lelio mit diesen Konventionen – zwar unaufgeregt leise, dafür aber umso eindrücklicher.
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Kommentare
Eindrücklicher Film, der aufzeigt, wie verbreitet Vorurteile und deren Auswirkungen sind. Sehr gut gespielt und wirkt nach.
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