A Polar Year Frankreich 2018 – 94min.

Filmkritik

Das Eis brechen im Hohen Norden

Irene Genhart
Filmkritik: Irene Genhart

Ein dänischer Junglehrer tritt in Grönland seine erste Stelle an: Samuel Collardey erzählt in seiner Dokufiktion nicht nur von Xenophobie und Integration, sondern auch vom Leben im Clinch von Moderne und Tradition.

Anders Hvidegaard stammt aus einer dänischen Bauernfamilie. Er hat allerdings keine Lust, den Hof zu übernehmen, lässt sich zum Lehrer ausbilden, und als man ihn bei der Stellenvermittlung nach seinen Wünschen fragt, meint er bloss, er möchte möglichst weit weg. Obwohl man Aussenstellen für gewöhnlich erfahrenen Lehrern zuteilt, macht man für Anders eine Ausnahme. So landet er im grönländischen Tiniteqilaaq: zwei Dutzend Häuser, ein Postamt, ein Waschhaus, ein winziger Supermarkt, 100 Einwohner, neun Kinder im Primarschulalter; erreichbar ist „Tinit“, wie die Einheimischen ihr Dorf nennen, nur per Boot.

Vorerst beisst Anders, obwohl der Gemeindevorsteher ihm unter die Arme greift, auf Granit. Dies nicht nur weil er, wie von Amtes befohlen, mit den Schülern dänisch spricht. Sondern auch, weil die meisten Einheimischen – obwohl sie Handys und Computer besitzen – von Fischfang und Jagd leben, und es als wichtiger erachten, ihren Kindern die altherkömmlichen Handwerkskünste beizubringen, als sie zur Schule zu schicken…

Der Franzose Samuel Collardey, immer auch für die Kamera zuständig, hat eine spezielle Art, Filme zu drehen: Er erzählt fiktive Geschichten, die sich authentisch in einer lokalen Wirklichkeit verorten. Die Protagonisten spielen – manchmal etwas kamerascheu – sich selber, Dokumentarisches und Nachinszeniertes gehen für den Zuschauer bisweilen irritierend nahtlos ineinander über. Was A Polar Year betrifft, so hat Anders Hvidegaard vor drei Jahren in Tiniteqilaaq tatsächlich die Lehrerstelle angetreten. Collarday hat ihn im ersten Schuljahr wochenweise begleitet, de facto wird die klassische Geschichte eines neuen Lehrers erzählt, der sich in einem Dorf integrieren muss.

Hvidegaard, obwohl zwischendurch einsam und etwas ratlos, schlägt sich erstaunlich souverän. Er lässt sich vom Ungehorsam der Kinder so wenig aus der Ruhe bringen, wie von den Anfeindungen der Erwachsenen. Er lernt – trotz Verbots – Grönländisch, lässt sich einen Holzschlitten bauen; geht schliesslich mit dem Gemeindevorsteher, einem Jäger und dem achtjährigen Asser auf die Bärenjagd. A Polar Year beeindruckt mit zum Teil sensationellen Landschaftsaufnahmen. Und obwohl der Film ganz bei seinen Protagonisten bleibt, klingen darin die grossen Themen der Gegenwart an: Klimaerwärmung und Globalisierung, welche die Lebensweise der Inuit selbst in einem winzigen Dorf am Rande von Grönland massgebend beeinflussen.

07.12.2018

3

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Kommentare

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Susi

vor 5 Jahren

Sehr realistisch. Ich habe 6 Monate in Grönland als Lehrerin gearbeitet und es genauso erlebt.


broenni

vor 5 Jahren

Ein toller Einblick in das Leben der Inuit.


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