Amanda Frankreich 2018 – 107min.

Filmkritik

Doch das Leben geht irgendwie weiter

Irene Genhart
Filmkritik: Irene Genhart

Mikhaël Hers erzählt mit wohltuender Leichtigkeit von Schwerem: Der Zeit und Kraft, welche Angehörige brauchen, um nach dem plötzlichen Tod einer Frau weiterzuleben.

Amanda beginnt, wie manche französische Komödie in der Nachfolge von Jacques Tati, Eric Rohmer, Alain Resnais leichtfüssig, heiter, beschwingt. Mit der lockeren Beschreibung des normalen Alltags und Einschreibung der Geschichte an den Ort, an dem sie spielt: Paris. Hier lebt die Lehrerin Sandrine mit ihrer achtjährigen Tochter Amanda, die sie allein grosszieht. Die Tage vergehen im Flug. Mutter und Tochter stehen sich nahe, Sandrines 23-jähriger Bruder David unterstützt Sandrine, so gut er kann und sofern es sein Möchtegern-Künstler- und Herzbrecher-Leben zulässt; aktuell ist er frisch verliebt in Léna, die seit kurzem in einem Appartement gegenüber dem seinen wohnt.

Und dann kommt der Tag, nach dem alles anders ist. Ein blutiger Terroranschlag oder Amoklauf erschüttert Paris. David ist mit dem Rad unterwegs, als die Polizei-Sirenen zu heulen beginnen und Ambulanzen losrasen. Sandrine kehrt nie mehr nach Hause zurück, Léna ist verletzt, vor allem aber traumatisiert. Nun muss David nicht nur mit der eigenen Trauer zurechtkommen, sondern steht als Amandas einziger Verwandter und nächste Bezugsperson auch in der Pflicht. Und eigentlich braucht ihn auch Léna, allerdings weniger als Lover, denn als guten Freund.

Mikhaël Hers schildert das alles – Amandas allmähliches Begreifen, Davids Trauer, seine Angst und Überforderung vor der plötzlichen Verantwortung – sehr sorgfältig, sehr feinfühlig. Ohne grosse Gesten, ohne Brimborium, ohne Marschplan. Indem er die Momente herausbricht, in denen das Unsagbare die Protagonisten unverhofft überwältigt: während einem Gespräch auf einer Parkbank, einem Sparziergang, oder, wenn David nach Wochen Sandrines Zahnbürste wegschmeisst und Amanda ihm deswegen haltlose Vorwürfe macht.

Es sind viele kleine Schritte, die zurück in eine gewisse Normalität, eine neue Familienkonstellation führen. Es gehört dazu nach einer Weile auch das Reisen. Nach London, wo David, beim Vater aufgewachsen, seit Jahren seine Mutter wiedersieht und Amanda zum ersten Mal ihre Grossmutter trifft; zur inzwischen in ihr Heimatdorf zurückgekehrten Léna. Und was diesen Film, diesen sehr ans Herzen gehenden Film, gross und auch ziemlich einmalig macht, ist, dass Hers die Leichtigkeit auch in diesem schweren zweiten Teil zu halten gelingt und er vermittelt, worüber man – worüber das Kino – selten spricht: Dass das Leben nach einem Todesfall, so gut es eben geht, weiterzuführen ist.

13.06.2019

5

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