Doubles vies Frankreich 2018 – 108min.

Filmkritik

Die köstlichen Anachronismen des Seins

Irene Genhart
Filmkritik: Irene Genhart

Olivier Assayas spürt in einer herrlich verworrenen Beziehungskomödie dem den heutigen Zeitgeist prägenden Wechselspiel von analoger und virtueller Wirklichkeit nach.

Alain leitet einen renommierten französischen Verlag und ist überzeugt, dass das gedruckte Buch im 21. Jahrhundert ein Auslaufmodell ist. Er hat die blutjunge und smarte PR-Assistentin Laure engagiert, welche als Kind der heutigen Zeit dem serbelnden Betrieb mit SMS, Blogs und neuem Internetauftritt wieder auf die Beine helfen soll. Dass Laure nebenbei seine Libido beflügelt, bleibt Alains Geheimnis, schliesslich ist er seit Jahren glücklich liiert mit der Schauspielerin Selena.

Alains bester Freund hingegen, der Schriftsteller Léonard, schwört nach wie vor auf Print und legt Alain sein nächstes Manuskript vor. Dieses ist, wie alle Romane von Léonard, autobiografisch eingefärbt und handelt von der Liebelei eines gestandenen Schriftstellers mit einer nicht mehr jungen Schauspielerin. So etwas, behauptet Alain, interessiere heute niemanden. Überhaupt sei Léonards Verweigerung gegenüber den modernen Medien opportunistisch und nicht länger haltbar – und die unverbrämte Art, wie Léonard in seinen Romanen die Wirklichkeit fiktionalisiere, sie gefährlich, weil sich die dahinterliegende Wahrheit heute im Internet mit ein paar Klicks eröffne. Er lehnt Léonards Manuskript ab, beziehungsweise bittet ihn, dieses zu überarbeiten.

Nun kommen die Frauen ins Spiel: Léonards Lebenspartnerin Valérie, die als PR-Beauftragte eines Lokalpolitikers rund um die Uhr von ihrem Job beansprucht keine Zeit hat für Léonards Gekränktheit, Selena, die Alains Tändelei mit Laure zwar ahnt, selber aber überaus libertine Ansichten vertretend nicht in der Position steckt, ihrem Mann die Leviten zu lesen.

Olivier Assayas, wie in fast all seinen Filmen für Regie wie auch für das Drehbuch verantwortlich und für gewöhnlich eher der Dramatik zuneigend, schlägt in Double vies einen erstaunlich leichtfüssigen Tonfall an. Er hat – anachronistisch – auf 16mm in erlesenen Settings mitten in Paris gedreht. Literatur, Kunst, Politik und Zeitgeschehen bilden den thematischen Hintergrund der durchwegs pointierten, nicht selten von witzig-klugen Dialogen geprägten Gespräche; die libidinösen Verstrickungen der Figuren bringen zusätzlichen Pfeffer ins Spiel. Obwohl in einigen Szenen ins Schwatzhafte neigend, ist Doubles vies ein letztlich köstlich unterhaltsamer und auch kluger Versuch der Verortung der heutigen Gesellschaft und ihrer Lebensweise zwischen digitaler und analoger Wirklichkeit.

15.05.2019

4

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