CH.FILM

Insulaner Schweiz 2018 – 92min.

Filmkritik

Der Robinson aus Bern

Björn Schneider
Filmkritik: Björn Schneider

Die Geschichte des Berner Aristokraten Alfred von Rodt ist eine aussergewöhnliche. Sie handelt von Kolonisation, Abenteuerlust und dem Wunsch nach politischer Autonomie.

1877 war es, als von Rodt sein altes Leben in der Schweiz hinter sich liess und sich auf einer der chilenischen Fernández-Inseln, dem malerischen Eiland „Robinson Crusoe“, niederliess. Der Patrizier pachtete und bewirtschaftete „sein Königreich“, später wurde er zum Kolonie-Inspektor ernannt. Ausserdem heiratete er eine Einheimische und wurde sechsfacher Vater. Heute, fast 115 Jahre nach seinem Tod, ist die Erinnerung an von Rodt wacher denn je. Insulaner begibt sich auf Spurensuche.

Der Name der Insel geht tatsächlich auf den später als Robinson Crusoe bekannt gewordenen Seefahrer Alexander Selkirk zurück. Er wurde 1704 auf der Insel ausgesetzt und lebte dort mehrere Jahre. Seine Geschichte inspirierte den Briten Daniel Defoe zu seinem Romanklassiker. Beeindruckt vom Leben und Wirken Alfred von Rodts hingegen zeigte sich der aus Lausanne stammende Stéphane Goël. Er arbeitet seit 1985 als unabhängiger Filmemacher. Insulaner ist seine 21. Dokumentation.

„Das Meer ersetzt mir die Alpen, die Insel die Schweiz“, soll von Rodt einmal gesagt haben. Ein mutiger Mann, der von enormer Abenteuerlust geprägt war. Anders ist es nicht zu erklären, dass der studierte Forstwissenschaftler mit seiner Familie und Herkunft brach – um sich im Alter von 34 auf einer abgeschiedenen Pazifikinsel ein neues Leben aufzubauen. Die Figur des von Rodt ist mythenumrankt, und viele Legenden haben sich um ihn gebildet.

Auch im Verlauf von Insulaner bleibt, was seine Person betrifft, einiges im Vagen. War er ein naiver Träumer? Ein Idealist, angetrieben vom Wunsch nach politischer Selbstbestimmung? Oder gar ein Verrückter, der den Bezug zur Realität verloren hatte? Eine abschliessende Antwort gibt der Film nicht, kann er vielleicht auch gar nicht geben. Die Aura des Rätselhaften wird noch durch den andächtigen Off-Kommentar verstärkt. Darin schlüpft Schriftsteller Pedro Lenz in die Rolle von Rodts und gibt – mit sonorer Stimme – Einblicke in dessen (vermutetes) Seelenleben.

Aufschlussreich und spannend sind die Szenen, die den Inselalltag der heutigen Bewohner von Robinson Crusoe zeigen: beim Fischen, am Essenstisch oder auf der Kaninchenjagd (die Insel leidet seit langem unter einer Wildkaninchen-Plage). Goël führt zudem intensive und erhellende Gespräche mit ihnen. Wenn die Insulaner über ihr kulturelles Selbstverständnis sprechen und die grössten Gefahren für ihre Gemeinschaft benennen, werden Parallelen zu den Sorgen der Menschen in vielen Teilen Europas mehr als deutlich: die Furcht vor Überfremdung, Verdrängung, vor dem Verlust der Identität und der eigenen Kultur.

01.04.2019

3.5

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