La flor Argentinien 2018 – 808min.
Filmkritik
Die Kunst des kinematografischen Fabulierens
Mit einer Länge von insgesamt 808 Minuten, aufgeteilt in sechs Episoden, die voneinander unabhängige Geschichten erzählen, deren einziges Bindeglied die vier immer gleichen Hauptdarstellerinnen sind, ist La flor ein kinematographisches Unikum. Oder aber eine heisse Liebeserklärung an die Kunst des filmischen Fabulierens.
Ab und zu – so wie ganz am Anfang – setzt sich Mariano Llinás (Historias extraordinarias) selber ins Bild. Dann kramt der Argentinier sein Notizheft hervor und schildert – sich, der Crew, den DarstellerInnen, dem Publikum – sein Vorhaben: einen Film mit dem Titel La flor, aufgeteilt in diverse Episoden, die zu unterschiedlichen Zeiten spielen und verschiedene filmische Genres bedienen. Jede Episode soll eine eigenständige Geschichte erzählen; eine Art „Vierzack“ mit verschnörkeltem Stil zeichnet Llinás in sein Notizbuch, die Skizze nimmt im Laufe des Films immer andere, komplexere Formen an.
Die erste Episode, als B-Movie aufgezogen, dreht sich um eine verhexte Mumie. Die zweite ist ein Herzschmerz-Musical, das sich um die amouröse (Arbeits-)Beziehung eines Sängers und einer Sängerin dreht, zugleich auch von einer Sekte erzählt, die mit Hilfe von Skorpion-Gift nach ewiger Jugend strebt. Es folgen: ein zu Zeit des Kalten Krieges spielender Spionagefilm, ein Stummfilm im Stil von Jean Renoir, abschliessend ein Historienfilm, der von vier Frauen erzählt, die sich im 19. Jahrhundert nach zehnjähriger Gefangenschaft auf der Flucht von ihren Peinigern befinden.
Entstanden ist La flor im Laufe von zehn Jahren. Die Handlung spielt bis auf wenige Ausnahmen an nicht näher lokalisierten Orten in Lateinamerika. Als verbindende Komponenten funktionieren die in allen Episoden gleichen vier Hauptdarstellerinnen: Pilar Gamboa, Laura Paredes, Elisa Carricajo, Valeria Correa; denen man in diesem Film ein bisschen auch beim Älterwerden zuschaut. Im wirklichen Leben bilden sie die Theatergruppe “Piel del Lava”. Ihre sichtliche Vertrautheit miteinander prägt La flor ebenso wie die exquisit gestaltete Tonspur und die grossartige Kameraarbeit von Agustín Mendilaharzu.
Die spannendste Episode ist die mit 344 Minuten längste dritte, in dem vier der Welt besten Spioninnen belauert von einer anderen Frauengang (Tarantino lässt grüssen!) einen als Geisel genommenen deutschen Professor heil in einen Helikopter zu setzen versuchen. Die verschwurbeltste die vierte: Eine Art Making-of, in welchem Llinás blühende Bäume fotografiert und darüber nachdenkt, wie er sich die ihm zu aufsässig gewordenen Hauptdarstellerinnen vom Hals halten; bzw. von ihnen erzählen kann, ohne sie im Bild zeigen zu müssen.
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