Adam Belgien, Frankreich, Marokko, USA 2019 – 98min.
Filmkritik
Das höchste Gut der Frauen ist ihre Solidarität
Maryam Touzani erzählt einfühlsam von zwei Frauenschicksalen am Rande der patriarchalischen Gesellschaft.
Eine junge Frau, schwanger, irrt durch die verwinkelten Gassen von Casablanca. Sie geht von Haus zu Haus, sucht Arbeit. Als Friseuse, Köchin, Haushälterin, Pflegerin. Die Türen aber verschliessen sich vor ihr. Samia bleibt zurück auf der Strasse: Unmittelbar auf die Bibel, die Geschichte von Maria und Josef auf Herbergssuche verweist das. Doch Samia hat keinen Mann bei sich, ihre Empfängnis war nicht unbefleckt. Über die Hintergründe erfährt man nur wenig: Dass Samia aus einem Dorf in den Bergen stammt und nicht nach Hause kann, weil sie schwanger und der Kindsvater weg ist. Und dass sie ihr Kind nach der Geburt weggeben will.
Vorerst richtet sich für die Nacht ein in einem Toreingang gegenüber des Hauses, an dessen Tür sie zuletzt klopfte: eine Feinbäckerei, betrieben von Abla. Abla ist verwitwet, hat eine achtjährige Tochter, Warda, und betreibt ihr Geschäft allein. Sie wirkt verbittert. Vielleicht aber ist sie bloss müde, erschöpft und traurig über den Verlust ihres Mannes, der grundlos das Leben verlor. Abla hat Samia am Nachmittag schnöde weggewiesen. Warda aber hat Samia aus dem Fenster gegrüsst und Abla später gefragt, ob sie in der Backstube nicht doch Hilfe bräuchte. Spätnachts holt Abla Samia in ihre Wohnung.
Für eine Nacht vorerst. Doch es folgt ein nächster Tag, eine nächste Nacht. Am zweiten Morgen überrascht Samia Abla mit einem Blech voller Rzizas – eine in der Herstellung aufwendige marokkanische Zuckerteig-Spezialität. Allmählich, immer wieder vermittelt auch durch die kindliche Spontanität Wardas, wächst zwischen den beiden vom Schicksal an den Rand der Gesellschaft gedrängten Frauen eine auf wortlosem gegenseitigem Verstehen fussende Freundschaft.
Touzani erzählt stark auf den Moment und den weiblichen Körper fokussiert: die zwei Frauen, das Mädchen, den Schwangerschaftsbauch in einer kleinen, dunklen, aber gemütlichen Wohnung. Nur selten geht es hinaus in die von Leben quirlenden Gassen; auf das Dach, wo man Wäsche aufhängt und sich der Blick weitet. Es ist eine für gewöhnlich verborgene Frauenwelt, in welche Touzani die Zuschauer führt, die Polin Virginie Surdej hat sie in warm ausgeleuchteten und in erdigen Farbtönen gehaltenen Bildern festgehalten. Getragen von den beiden gleichermassen starken Hauptdarstellerinnen – Lubna Azabal und Nisrin Erradi – ist Adam ein so ausnehmend feinfühliger wie starker und – nicht nur was die Backkunst betrifft – auch sinnlicher Frauenfilm.
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