CH.FILM

African Mirror Schweiz 2019 – 84min.

Filmkritik

Hedingers Interpretation von Gardis Afrikabild

Irene Genhart
Filmkritik: Irene Genhart

Mischa Hedinger forscht in African Mirror dem Wirken des Schweizer Reiseschriftstellers und Dokumentarfilmers René Gardi (1909-2000) nach.

Die ersten Bilder zeigen verschwommene Gestalten auf fernen Felsen. Eine Stimme im Off erzählt. Von ebendiesen Menschen, welche die Filmenden „betrachteten, aber verschwanden, sobald man hinschaute“. Die Aufnahmen stehen am Anfang von Mischa Hedingers African Mirror. Entstanden sind sie 1959 im nordkamerunischen Mandara-Gebirge, zu finden in René Gardis Dokumentarfilm Mandara (1960).

Mandara ist Gardis erster Film. Der Berner war in jüngeren Jahren Sekundarschullehrer. Er musste den Beruf 1945 aber aufgeben, arbeitete in der Folge als Schriftsteller und Fotograf, ab Ende der 50er-Jahre auch als Dokumentarfilmer. Bekannt und beliebt wurde Gardi in der Schweiz vor allem durch seine Vortragsreisen und TV-Auftritte, in denen er lebhaft von seinen Reisen berichtete.

Anfänglich im Norden Europas unterwegs, entdeckte Gardi in den 40er-Jahren seine Passion für Afrika. Insgesamt 32 Mal reiste er bis 1992 nach Afrika; seine Fotobücher, Reiseberichte und Filme haben das Afrikabild, welches man in der Schweiz hatte, jahrelang stark mitgeprägt.

Es ist dies aus heutiger Sicht ein ambivalentes Bild, welches Mischa Hedinger in African Mirror kritisch hinterfragt. Er tut es fast ausschliesslich ausgehend von Gardis Werk. Indem er Szenen aus Mandara sowie späteren Filmen wie Dahomey (1962) und Die Glasmacher von Bida (1963) in Bezug zu Gardis Tagebüchern, Briefen und Reportagen stellt und ergänzend Fotos, Tonbandaufnahmen, sowie Ausschnitte aus TV-Sendungen hinzufügt.

Hedinger weist dabei nicht nur auf Gardis postkolonialistisches Denken hin, sondern auch auf die Widersprüchlichkeiten in seinem Werk. Und er entlarvt das als dokumentarisch Verkaufte da und dort als klare Verfälschung: Wenn Gardi für Mandara eine „traditionelle“ Hochzeit nachinszeniert, dabei aber den Brautpreis nach eigenem Gutdünken erhöht, entspricht das ebenso wenig der Realität, wie wenn er vom unberührten Paradies der Mandara spricht, obwohl er nachweislich weiss, dass Kamerun unter britisch-französischer Kolonialherrschaft steht.

African Mirror ist in mancher Hinsicht sehr spannend. Da Hedinger Gardis Schaffen aber nicht im Kanon der damaligen Zeit verortet und zudem auch nicht offenlegt, nach welchen Kriterien er selber arbeitet, präsentiert sich African Mirror letztlich als Hedingers persönliche Interpretation von Gardis Wirken – und ist dringend zu hinterfragen.

07.02.2020

3

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Kommentare

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doro_a

vor 5 Jahren

Ein eindrücklicher Film, der zum Nachdenken anregt: über die "damalige Zeit" in den 1950er-Jahren, wo Kolonialismus und das herabwürdigende Kategorisieren der "edlen Wilden" auch hierzulande noch ganze Generationen prägte. Mischa Hedinger zeichnet bewusst ein widersprüchliches Bild von René Gardi: der weisse Mann als Forscher und Vermittler fremder Lebensweisen - aber auch als Rassist und Spielball der Kolonialisten, der ironischerweise genau die Bewahrung und Reinheit "dieser wilden Völker" sucht um sie zu glorifizieren - sie sollen aber bitte nicht "modern" werden. Sehr sehenswert! Aber bitte keinen "Wohlfühlfilm" erwarten :-)Mehr anzeigen


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