Le jeune Ahmed Belgien, Frankreich 2019 – 84min.
Filmkritik
Ahmed gegen den Glaubensverlust
Die Brüder Dardenne – bereits zweimal mit Goldmedaillen an den Filmfestspielen in Cannes ausgezeichnet – haben beschlossen, die islamistische Radikalisierung zum Thema ihres elften Spielfilms zu machen. Der Radikalismus, von dem Belgien mit voller Wucht betroffen ist, wird in Le jeune Ahmed von einem 13-jährigen Teenager verkörpert, der sich zwischen seinen Idealen und seinem Leben als Teenager verliert.
Le jeune Ahmed dreht sich ganz um die ernsthaften Sünden der Jugend: Ahmed ist verloren zwischen den Worten seines Imams und den Reden von Frau Ines, seiner beaufsichtigenden Hausaufgabenlehrerin. Radikalismus ist sein Hintergrund, der Koran und die Gebete seine Drogen. Ahmed ist hin- und hergerissen, wird von einem Mann weichgespült, der den Koran nach seinem Gutdünken auslegt, und durch sein Leben als Teenager durcheinandergebracht.
Le jeune Ahmed ist ein weiterer Film über die islamistische Radikalisierung, über die Machenschaften junger Menschen, die zu wenig Aufmerksamkeit bekommen, Zuneigung brauchen oder einfach nur von den Heldentaten islamischer Soldaten besessen sind. Marie-Castille Mention-Schaar behandelte diese Radikalisierung in Le Ciel attendra und André Téchiné erst kürzlich in L'Adieu à la nuit.
Jean-Pierre und Luc Dardenne gehen hier authentisch und rigoros mit dem Thema um, mittels der Unschuld eines jungen Mannes (Idir Ben Addi) mit noch formbaren Idealen. Von seinem Imam und den "göttlichen" Worten absorbiert, schliesst sich sein Schicksal der Gewalt an, fasziniert von den dschihadistischen Abenteuern seines Cousins und der religiösen Reinheit. Für Ahmed ist der Dschihad ein Akt der Tapferkeit, von dem er sich weigert, sich abzuwenden. Undenkbar ist es für ihn deshalb, so einzuknicken wie sein Vater, der in seinen Augen eine Schwachstelle ist. Undenkbar auch, mit Frau Ines (Myriem Akheddiou) zu reden oder gar ihr die Hände zu schütteln – dieser Abtrünnigen, die es wagte, sich einem Juden hinzugeben.
Als Ahmed sich zu einer folgenschweren Tat hinreissen lässt, wird seine Vision vom Islam auf die Probe gestellt. Eingesperrt in einem Zentrum hat er Zeit zum Nachdenken, zum Reflektieren seines Handelns. Le jeune Ahmed erzählt ohne eine einzige Rückblende vom Schicksal der Familie und von den Sorgen, die Ahmeds Umfeld erlebt. Von der alkoholkranken Mutter (Claire Bodson), die versucht, die Kontrolle wiederzuerlangen, und vom abwesenden Vater, den wir nie zu Gesicht bekommen. Ein Fehlen, das Ahmeds Rekrutierung und die Radikalisierung, die beunruhigende Züge annimmt, begründen kann. Der Film wird an diesem Punkt selbst radikal. Das Böse, das Ahmed auf dem langen Weg des Lernens und Lebens verursacht, wird frontal und ungekünstelt dargestellt. Die Brüder Dardenne visieren genau diese naive und besonders gefährliche Wut an: Le jeune Ahmed ermöglicht eine kristallklare Sicht.
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