Deux moi Frankreich 2019 – 110min.

Filmkritik

So nah und doch so fern

Björn Schneider
Filmkritik: Björn Schneider

Liebe und Einsamkeit im Jahr 2019: Deux moi beobachtet zwei Pariser Singles auf der Suche nach Halt und Geborgenheit.

Singles haben im digitalen Zeitalter so viele Möglichkeiten wie nie zuvor. Auch Rémy (François Civil) und Mélanie (Ana Girardot) suchen über die sozialen Netzwerke nach einem Partner. Die beiden 30-Jährigen leben im selben Viertel in Paris, sind einander jedoch noch nie begegnet. Trotz zahlreicher Dates und obwohl es in Paris vor Singles nur so wimmelt kämpfen Rémy und Mélanie mit ihrer Einsamkeit. Werden sie sich irgendwann über den Weg laufen?

Rémy und Mélanie stehen stellvertretend für eine Generation junger Menschen, die inmitten einer schnelllebigen Welt mit der medialen Reizüberflutung und bestimmten Erwartungshaltungen zu kämpfen haben. Der Druck, den Anschluss nicht zu verpassen und mitzuhalten, sowohl im Berufs- als auch im Privatleben, ist allgegenwärtig. Ebenso wie der Überfluss an Möglichkeiten, gerade hinsichtlich der Partnerwahl. Das nächste Date ist dank Tinder & Co. stets nur einen „Wisch“ entfernt. Es gilt das auf dem flüchtigen ersten Eindruck basierende, oberflächliche Prinzip „Hot or not“.

All diese Erkenntnisse, die Regisseur Cédric Klapisch (Ce qui nous li) hier aufzeigt, sind natürlich nicht neu oder besonders überraschend. Doch Klapisch dreht Szenen von enormer Ausdruckskraft und beachtlicher Intimität, wenn er Rémy und Mélanie in stillen, persönlichen Momenten als Opfer ihrer Einsamkeit und Ohnmacht zeigt. Etwa wenn Rémy morgens gedankenverloren an seine Zimmerdecke starrt und genau weiss, dass dies der Start in einen weiteren Tag ist, an dem wieder nur der übliche Trott und urbane Überlebenskampf bevorstehen. Oder wenn Mélanie ihren Freundinnen von all den belanglosen Dates berichtet oder betrübt in ihrer Badewanne sitzt.

Allmählich aber wird klar, dass da noch mehr ist. Die zwei Hauptfiguren kämpfen mit den Geistern der Vergangenheit. Und sie versuchen ihre Traumata in Therapien zu bewältigen. Klapisch findet einen erfrischenden, ungezwungenen Zugang zum Thema „psychische Erkrankung“, da er ihm – vor allem in den Therapiesitzungen – mit amüsantem Wortwitz, Offenheit und grossem Respekt begegnet. Ärgerlich aber ist, dass die Psychotherapeuten etwas klischeehaft und schematisch gezeichnet sind. Ebenso wie die übrigen, austauschbaren Nebenfiguren.

Für eine aufregende Spannung sorgt Klapisch wiederum in jenen Szenen, in denen sich Rémy und Mélanie häufig – beinahe – begegnen und sich der Zuschauer die bange Frage stellt: Wann nehmen sie einander endlich wahr? Ob beim zeitgleichen Verlassen des Hauses, im Supermarkt, in der U-Bahn oder wenn sie in der Apotheke direkt nebeneinander stehen. Selten waren sich zwei Menschen so nah und gleichzeitig so fern.

16.12.2019

3.5

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Kommentare

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cinerat

vor 4 Jahren

Ein schöner Feelgoodfilm mit ernstem Thema. Erfreulich auch die Darstellung der beiden Psychiater*innen. In den meisten Filmen lacht man nur über sie. Hier aber helfen sie ihren Patient*innen, in ein reales Liebesleben zu finden.


Coboii

vor 4 Jahren

Très touchant !


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