CH.FILM

Silencio Radio Mexiko, Schweiz 2019 – 78min.

Filmkritik

Nicht kleinzukriegen

Christopher  Diekhaus
Filmkritik: Christopher Diekhaus

In ihrem Dokumentarfilm «Silence Radio» begleitet die mexikanische Regisseurin Juliana Fanjul, die in der Schweiz ihr Masterstudium abschloss, den Kampf ihrer Landsfrau Carmen Aristegui, einer bekannten Journalistin, für Pressefreiheit und gegen die Korruption im politischen System.

Optimistisch zu bleiben, sei ihre moralische Pflicht. Andernfalls müsste sie aufgeben. Und das käme für sie nicht in Frage. So äußert sich Fanjuls Protagonistin gegen Ende des Films. Eine Haltung, die grossen Respekt verdient und keineswegs selbstverständlich ist, wenn man sich vor Augen führt, wie massiv und skrupellos einflussreiche Kräfte Aristeguis Arbeit zu sabotieren und zu verhindern versuchen.

Ausgangspunkt von «Radio Silence» ist die Entlassung der investigativen Reporterin und ihres Teams durch den Radiosender MVS im Jahr 2015, für den sie jahrelang kritische, den Finger in Wunden legende Berichte angefertigt hat. Als Aristegui und ihre Kollegen einen Immobilienskandal um den damaligen mexikanischen Präsidenten Enrique Peña Nieto aufdecken, scheint für die Herrschenden eine Grenze überschritten. Zu vehement prangert die unerschrockene Journalistin den Machtmissbrauch, die Mauscheleien und die mafiösen Strukturen innerhalb des politischen Apparats an. Nicht nur die Kündigung, auch mehrere Klagen sollen die Unruhestifterin zum Schweigen bringen – was längst nicht allen Mexikanern gefällt. Sehen sie sich doch plötzlich einer der wenigen unabhängigen Stimmen beraubt.

Schon zu Beginn lässt Juliana Fanjul keinen Zweifel daran, auf welcher Seite sie steht, und erklärt dem Zuschauer, dass Carmen Aristegui für sie stets eine wichtige Quelle der Inspiration gewesen sei. Offenkundig handelt es sich bei der Regimekritikerin um eine mexikanische Presseikone, eine Vorkämpferin, deren Beispiel vielen Menschen Hoffnung gibt. Immer mal wieder erleben wir im Film Momente, in denen wildfremde Personen auf der Straße an Aristegui herantreten, ihre Bewunderung zum Ausdruck bringen und sie um ein gemeinsames Foto bitten – wie bei einem Sport- oder Filmstar.

Mit ihrer Kamera ist die Regisseurin meistens nah dran, stürzt sich mit der Journalistin ins Getümmel und zeichnet nach, wie sie mit einem eigenen Internetkanal weiter ihrer Berufung folgen will. Regelmässig schaltet sich Fanjul mit erläuternden Kommentaren ein, die betont unaufgeregt daherkommen, inhaltlich aber eine Abrechnung mit ihrem Heimatland und seiner politischen Kultur darstellen. Erwähnung findet dabei unter anderem die Verquickung zwischen Enrique Peña Nieto und dem größten mexikanischen Privatsender Televisa, durch die das Volk – so beschreibt es der Film – manipuliert und abgestumpft wird. Ein spannender Punkt, den «Silence Radio» gerne etwas genauer hätte unter die Lupe nehmen dürfen.

Direkte Interviewpassagen mit der Protagonistin, die ihre bemerkenswerte Persönlichkeit ein wenig konkreter hervortreten lassen, sind rar gesät. Dafür zieht Fanjul allerdings aus einigen Gesprächen mit Aristeguis Mitarbeitern denkwürdige Erkenntnisse. In Erinnerung bleibt vor allem die Szene, in der sie einen Journalisten fragt, ob er bereit sei, für seinen Job zu sterben. Dass der Mann sichtlich mit seiner Fassung ringt, hat einen einfachen Grund, der mehrfach thematisiert wird: In Mexiko haben bereits erschreckend viele Pressevertreter ihr Leben verloren, ohne dass die Täter ermittelt oder zur Rechenschaft gezogen worden wären. Gerade vor diesem Hintergrund ist «Silence Radio» ein wichtiger und mutiger Beitrag – selbst wenn er manchmal noch mehr in die Tiefe gehen könnte.

20.02.2024

3.5

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