Un monde plus grand Belgien, Frankreich 2019 – 100min.

Filmkritik

Kraft der Spiritualität

Rolf Breiner
Filmkritik: Rolf Breiner

Eine Frau sucht Trost nach dem Tod ihres Mannes und reist in die Mongolei. Sie ist vom Schamanentum fasziniert und hat Visionen. Nach den Aufzeichnungen der Französin Corine Sombrun hat Fabienne Berthaud einen fesselnden semidokumentarischen Film realisiert.



Eine Frau sehnt sich nach Trost, hofft auf ein spirituelles Wiedersehen. Nach dem Tode ihres Mannes sucht Corine (Cécile de France) das Weite. Sie packt ihr Aufnahmegerät und reist in die Mongolei, um dort ethnografische Gesänge aufzunehmen. Die Reporterin will Rituale der Schamanen dokumentieren, hofft wie einst die Liebenden Orpheus und Eurydike auf ein Wiedersehen, eine Wiedervereinigung.

Dolmetscherin Naraa führt Corine zur Schamanin Cyun (Tserendarizav Dashnyam). Bei einem Trommel-Ritual beginnt Corine zu zucken, fällt selber in Trance. Cyun erkennt die besondere Begabung der Fremden und rät ihr eindringlich, sich als Schamanin ausbilden zu lassen. Die Französin ist verunsichert und kehrt in ihre Heimat zurück. Dort bemerkt sie selber, dass sie in bestimmten Situationen (Ritualen) eine rätselhafte Kraft beherrscht. Abermals reist sie in die Mongolei, um ihrem «Wolf» zu begegnen und tief in diese spirituelle Welt einzutauchen.

Der semidokumentarische Film Un monde plus grand («Eine grössere Welt») basiert auf den Erlebnissen der Ethnoforscherin Corine Sombrun, die um 2001 das Schamanentum erkundete und versuchte, Trance als wissenschaftliches Phänomen zu etablieren. Der mongolische Schamanismus ist eine traditionelle Religion, die sich auf Medizin, Ahnenkult, Natur- und Götterverehrung bezieht. Schamanen dienen als Vermittler zu Göttern und Geistern.

Die Ethnomusikerin Corine Sombrun avancierte zur Spezialistin für Schamanentum und bereiste acht Jahre lang immer wieder die Mongolei. Im Buch «Les Esprits de la Steppe» beschrieb sie das Leben eines Schamanen. Ihre eigenen Erfahrungen spiegeln sich in den Büchern «Tagebuch eines Schamanenlehrlings» (2004) und «Meine Initiation mit Schamanen» (2004) wieder. Zusammen mit Neurologen und Gehirnforschern hat sie es sich zur Aufgabe gemacht, kognitive Trance zu verstehen und für therapeutische Zwecke zu nutzen.

Die französische Autorin, Schauspielerin und Regisseurin Fabienne Berthaud hat Sombruns Mission und spirituelle Ambitionen verfilmt, wobei sie versuchte, nah an der Wirklichkeit zu bleiben. Sie setzte mongolische Laiendarsteller ein, und die Dolmetscherin spielt sich selber. Sie hatte Corine vor zwanzig Jahren in die Steppe geführt. Ein aussergewöhnlicher Film faszinierender und verblüffender Begegnungen. Die spirituelle Reise, nah am Dokumentarfilm, verklärt sich etwas und wird teilweise zur Romanze – etwa bezüglich der Legende Sängers Orpheus und der Nymphe Eurydike in der Unterwelt. So oder so – Berthauds sehenswerter Film schert aus und liegt doch im Trend eines neuen Naturalismus, beschwört Nähe zur Natur und zu Naturkräften.

25.06.2020

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