CH.FILM

Platzspitzbaby Schweiz 2020 – 100min.

Filmkritik

Nicht ohne meine Mutter, aber auch nicht mit ihr

Irene Genhart
Filmkritik: Irene Genhart

Pierre Monnard schildert eindringlich das Heranwachsen eines Mädchens, das zerrissen wird zwischen seinem Bedürfnis nach Normalität und der Liebe zu seiner drogensüchtigen Mutter.

Ende der 1980er-Jahre entsteht unweit von Zürichs Hauptbahnhof im idyllischen Park hinter dem Landesmuseum die grösste Drogenszene Europas. In aller Öffentlichkeit werden hier Drogen gedealt und konsumiert, für viele Süchtige ist der Platzspitz ihr Zuhause. Für alle anderen aber ist es definitiv kein Place to be. Schon gar nicht für ein Kind von elf Jahren wie Mia, die eigentlich im Auto warten soll, bis ihre Mutter vollgepumpt zurückkehrt. Doch „I wanna go home“ klingt es aus Mias Walkman. Mia geht los, ihre Mutter zu suchen inmitten der Junkies – später im Film geht sie selber für die Mutter Drogen abholen. Denn Mia möchte geliebt werden von Sandrine, die, wenn sie gut drauf ist, mit ihrer Tochter liebevoll und einfühlsam umgeht, und mit der Mia es durchaus auch lustig haben kann.

1992 dann wird der Platzspitz geschlossen, 1995 die offene Drogenszene aufgelöst. Mias Eltern trennen sich. Mia zieht mit Sandrine in ein Dorf im Zürcher Oberland. Die Situation scheint sich zu normalisieren. Sandrine nimmt Medikamente, Mia zählt mit Kühlschrankmagneten Sandrines abstinenten Tage. Sie hat ein eigenes Zimmer, geht nach den Ferien in die neue Schule, findet Anschluss an eine lokale Jugendbande, schliesst neue Freundschaften, und irgendwann schenkt Sandrine ihr einen Hund.

Doch am Dorfrand steht ein Haus, um das die meisten Dörfler einen Bogen machen. Denn in diesem Haus leben Menschen, die ähnliche Probleme haben wie Sandrine. Da gibt es auch Drogen – und Sandrine muss gar nicht bis nach Zürich fahren, um an Stoff zu kommen. Immer neu auf Null wird der Zähler am Kühlschrank gestellt, wenn Sandrine rückfällig wird, und Mia bleibt nichts anderes übrig, als sich mit ihrer Mutter auf eine ferne Insel zu träumen.

Wie eine Bombe eingeschlagen hat bei Erscheinen Michelle Halbheers autobiografisches Buch, auf dem Platzspitzbaby beruht. Pierre Monnard, spätestens seit der Serie «Wilder» bekannt für präzise Milieu-Schilderungen, hat Mias Geschichte realitätsnah inszeniert. Sarah Spale («Wilder») beeindruckt in der Rolle Sandrines mit der authentisch wirkenden Darstellung einer Süchtigen. Der wahre Star von Platzspitzbaby aber ist Newcomerin Luna Mwezi in der Rolle dieser Jugendlichen, die bis zur Erschöpfung um die Liebe ihrer Mutter kämpft. Packend, erschütternd, aufwühlend ist Platzspitzbaby. Ein unbeschönigtes und heftiges Coming-of-age-Drama, das seiner jugendlichen Heldin zwischendurch in wohltuender fantastischer Übersteigerung einen imaginären Freund zur Seite stellt. Stark!

18.08.2020

4.5

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Kommentare

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Swisscheese

vor 3 Jahren

Total überbewertet. Die Spale spielt besser bei Wilder


mage.schett

vor 4 Jahren

Ein Film der berührt und die Tragik einer schlechten Kindheit aufzeigt. Der Staat wird seiner Aufgabe, das Kind zu schützen nicht gerecht und überlässt die Tochter der drogensüchtigen und total überforderten Mutter. Leider lässt der Film offen, wie das Mädchen ihr Leben in Zukunft meistert.Mehr anzeigen


sonnestaub42

vor 4 Jahren

Heftig, wie dieses Mädchen aufgewachsen ist.


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