CH.FILM

Presque Frankreich, Schweiz 2020 – 91min.

Filmkritik

Eine unerwartete Freundschaft

Emma Raposo
Filmkritik: Emma Raposo

Bernard Campan und Alexandre Jollien spielen die Hauptrollen in «Presque», einer dramatischen Komödie, die von der Begegnung zweier Männer erzählt, die gegensätzlicher nicht sein könnten. Der mit guten Gefühlen gespickte Film in Form eines Roadmovies folgt den Abenteuern von Louis und Igor auf ihrer Initiationsreise.

Louis (Bernard Campan) leitet ein Bestattungsunternehmen in Lausanne. Das Unternehmen läuft auf Hochtouren und Louis, ein eingefleischter Junggeselle, arbeitet rund um die Uhr. In derselben Stadt fährt Igor (Alexandre Jollien), ein 40-jähriger Mann mit Zerebralparese, auf seinem Dreirad durch die Strassen, um Körbe mit Biogemüse auszuliefern. Als Philosoph, der Nietzsche und Spinoza zu seinen Begleitern zählt, ist Igor auf der Suche nach echten Freundschaften. Doch es ist nicht leicht, Beziehungen aufzubauen, wenn die anderen eher urteilend als einladend auf ihn schauen.

Eines Tages, als Louis mit seinem Auto zu Kunden fährt, rammt er Igor und sein dreirädriges Fahrrad. Nach einem Zwischenstopp in der Notaufnahme nimmt jeder sein Leben wieder auf. Doch Igor hat nicht vor, es dabei zu belassen. Mit einer Ananas als Dankeschön lässt er sich hinter die Kulissen des Bestattungsinstituts einladen und nimmt in einem Sarg auf der Ladefläche eines Leichenwagens Platz - demselben Leichenwagen, mit dem Louis eine Verstorbene nach Südfrankreich überführen soll. Die beiden Männer, die unfreiwillige Reisegefährten sind, werden im Laufe der Reise immer mehr zu Komplizen.

Das Mitglied der Inconnus, ein französischer Komiker und Schauspieler, und der Schweizer Schriftsteller, die im Leben Freunde sind, vereinen ihre Kräfte in «Presque», einem Roadmovie, das mit jedem Kilometer mehr zu einer Initiationsreise wird. Das unwahrscheinliche Duo, bestehend aus einem schweigsamen Bestattungsunternehmer und einem zerebral gelähmten Spassvogel, greift auf die guten alten «Buddy-Movie»-Tricks zurück, bei denen der kleine Bauchige und der grosse Dünne schliesslich ihre Geigen stimmen und die besten Freunde der Welt werden. Die Gegensätze sind vereint und müssen sich damit abfinden, was letztendlich zur Entstehung einer unerwarteten Freundschaft führt, oder wie eine Begegnung und eine Reise den Lauf eines Lebens verändern können. Man könnte den Film als ein entfernter Cousin von «Rain Man» mit einer französisch-schweizerischen Note bezeichnen.

Unter dem Anschein eines Plädoyers für Menschen mit Behinderungen hat «Presque» jedoch andere Ambitionen. Der Film handelt zwar von Behinderung, aber nicht nur. Der Film feiert das Lebens selbst und erzählt auch von zwei verlorenen Männern, die versuchen, einen Sinn im Leben zu finden oder wiederzufinden. Gemeinsam und entgegen aller Erwartungen retten sie sich vor einem Tod auf Raten. Und wenn wir schon dabei sind, warum nicht die Gelegenheit nutzen, um mit philosophischen Zitaten, die wir Spinoza, Sokrates oder Nietzsche verdanken, den Blickwinkel zu verändern, indem wir die Behinderung in ihrer schlichtesten Form filmen. Wie bei jedem Film, der sich mit diesem Thema befasst, ist die richtige Dosierung des zweiten Grades oder sogar des schwarzen Humors von entscheidender Bedeutung. Während dies einigen Filmen wie «Peanut Butter Falcon» gelang, verstrickt sich «Presque» in einem Übermass an guten Gefühlen, die auf Dauer langweilig werden können.

Übersetzung aus dem Französischen von Emma Raposo durch Zoë Bayer.

Kurze Kritik von Teresa Vena:

Bernard Campan und Alexandre Jollien gelingt eine anrührende und originelle Komödie, die sich bekannter erzählerischer Mittel bedient, wie etwa das Motiv des klassischen Roadtrips, aber sich diese geschickt zunutze macht, um Themen wie Tod, Vorurteile, Schuld und Freundschaft zu besprechen. Die beiden Regisseure, die den Film gemeinsam geschrieben haben, übernehmen auch gleich die beiden Hauptrollen. Ihre persönliche Verbundenheit lässt sich von Anfang an im Film nachspüren.

Dicht und sparsam inszeniert, konzentriert sich der Film auf die genaue Zeichnung seiner liebevoll angelegten Figuren. Auffällig ist die würdevolle Darstellung menschlicher Schwäche, der erwachsene und befreiende Umgang mit Behinderung sowie die kompromisslose Positionierung gegen Hass und für ein versöhnliches Miteinander. Dabei verzichtet der Film weitgehend auf Sentimentalität und zeigt sich vielmehr erfrischend selbstironisch.

31.03.2022

2.5

Dein Film-Rating

Kommentare

Sie müssen sich zuerst einloggen um Kommentare zu verfassen.

Login & Registrierung

Mehr Filmkritiken

Typisch Emil

Tschugger - Der lätscht Fall

Hölde - Die stillen Helden vom Säntis

Landesverräter