CH.FILM

Soul of a Beast Schweiz 2020 – 110min.

Filmkritik

Ohne dich ist alles leer

Christopher  Diekhaus
Filmkritik: Christopher Diekhaus

Zwischen Verantwortung und jugendlicher Freiheit: In seinem zweiten Spielfilm schickt der Schweizer Filmemacher Lorenz MerzCherry Pie») einen jungen Vater auf einen wilden Trip, der auch den Zuschauer rettungslos mitreisst. «Soul of a Beast» ist in erster Linie ein Kinoerlebnis der Sinne, des Gefühls und ufert mit zunehmender Dauer ins Surreale aus.

Jeder neue Tag ist für Teenagervater Gabriel (Pablo Caprez) eine Gratwanderung. Einerseits will er für seinen Sohn Jamie (Art Bllaca) da sein, mit dem er noch in der Wohnung seiner Mutter lebt. Irgendwo, an der berühmt-berüchtigten Langstrasse in Zürich. Andererseits drängt es den jungen Mann dazu, mit seinem besten Kumpel Joel (Tonatiuh Radzi) das Leben zu geniessen, sich einfach dem Moment hinzugeben. Als er eines Abends – vielleicht nicht zum ersten Mal – einer Prostituierten (Anastasija Fomina) Jamies Babyfon in die Hand drückt, um feiern zu gehen, lernt er Joels Freundin Corey (Ella Rumpf) kennen – und ist gleich schwer beeindruckt. Daran lassen die interessierten Blicke, die von ihr erwidert werden, keinen Zweifel.

Unter Meskalin-Einfluss steigt das Trio in den Zoo ein und befreit einige Tiere, die fortan – so wird es in den Nachrichten vermeldet – durch die Gegend streifen. Ein Ereignis, das die Stadt in einen Unruhezustand versetzt und zu immer chaotischeren Verhältnissen führt. Währenddessen findet sich auch Gabriel in einem stetig wachsenden Durcheinander wieder. Hin- und hergerissen zwischen seiner plötzlich entflammten Liebe zu Corey, die es nach Guatemala zieht, seiner Loyalität zu Joel und seinen Pflichten gegenüber Jamie gerät seine ohnehin nicht auf festen Füssen stehende Welt aus den Fugen.

Inspiriert von eigenen Erfahrungen, auch Lorenz Merz wurde beispielsweise sehr früh Vater, entwirft der Regisseur und Drehbuchautor einen Film, der permanent Genregrenzen überschreitet. «Soul of a Beast» vereint Sozialdrama, Romanze, Coming-of-Age-Geschichte, Endzeitvision, Horrortrip und ist genauso wild, wie sich dieser Mix anhört. Von Anfang an steckt in den Bildern eine rohe Kraft, eine zügellose Energie. Die meiste Zeit klebt die agile Handkamera an den Figuren, fängt ihre Emotion aus unmittelbarer Nähe ein. Schweissperlen und jede noch so kleine Regung – nichts bleibt hier unentdeckt.

Seinen ersten Höhepunkt hat das rauschhafte Geschehen, wenn wir in die Wahrnehmung der unter Drogen stehenden Protagonisten eintauchen. Eine surreale, verschwommen fotografierte und mit verzerrten Tönen unterlegte Szene, die einen Ausblick auf den in der zweiten Hälfte losbrechenden Wahnsinn gibt. Je weiter der Film voranschreitet, umso mehr scheinen Realität und Imagination zu verschwimmen. Herrscht in den Strassen Zürichs wirklich Anarchie? Oder sind die Tumulte nur Spiegel von Gabriels aufgewühlter Seele? Die Freilassung der Zootiere jedenfalls ist nicht nur als Plot-Element zu sehen, sondern steht natürlich auch symbolisch für die Entfesselung der animalischen Kräfte der Hauptfigur. Leidenschaft und Instinkt gewinnen mehr und mehr die Oberhand und münden im letzten Drittel in eine mitunter beängstigende, von intensiver Musikuntermalung wirkungsvoll begleitete Gefühlsexplosion. Das Spiel der Darsteller passt sich der zunehmend erhitzten Handlung an und sorgt für einige wahrlich unter die Haut gehende Momente. Etwa, als Gabriel mit Jamies Mutter Zoé (Luna Wedler), einer labilen, aus gutem Haus kommenden jungen Frau, heftig aneinandergerät.

Lorenz Merz gelingt ein fraglos packend-unberechenbarer, bildgewaltiger Film, der allerdings kleine Macken hat: Gelegentlich wird das Treiben übermässig zerdehnt. Und etwas prätentiös kommen die Einschübe eines japanischen Erzählers daher, dessen Kommentare Gabriels Erlebnissen einen philosophischen Anstrich verleihen sollen. Ein Kunstgriff, den es nicht gebraucht hätte, weil «Soul of a Beast» auch so genügend Ausdruckskraft besitzt.

Kurzkritik von Walter Rohrbach:

Zwischen der Langstrasse und der Zürcher Goldküste versucht der Teenager-Vater Gabriel (süsse 17 Jahre alt, gespielt von Pablo Caprez) sein Leben in den Griff zu kriegen. Als er sich dann auch noch in die Freundin seines besten Freundes Joel verliebt, entgleiten ihm immer mehr die Zügel über sein Leben, über seine Verantwortung als viel zu junger, alleinerziehender Vater und über den Wunsch nach Freiheit und Unabhängigkeit. Der Schweizer Autor und Regisseur Lorenz Merz hat einen fiebrigen, wilden und schnellen Film erschaffen mit einem hemmungslosen Mix aus surrealen Sequenzen und verschiedenen Genres: dies alles ist neu und packend, hat aber auch etwas Überlänge und einige Wiederholungen.

11.04.2022

3.5

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Kommentare

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thomasmarkus

vor 2 Jahren

Preis der ökumenischen Jury; langes Interview auf SRF2Kultur; auf Ostern hin nochmals 'promotet' via kath.ch als Film über Fragen nach Leben und Tod: all das lockte (verlockte) ins Kino. aber überzeugt nicht, rsp. zeigte überzeugten Kunstwillen, mehr oft nicht.
Liegt vielleicht auch daran, dass ich schon viele sehr gute japanische Filme gesehen hab...Mehr anzeigen


Patrick

vor 2 Jahren

Kunstvoll & Abstrakt für mich kam der Film daher als wäre man 2 Stunden in einem Drogen~Rausch.Fazit:Ein Film~Experiment für den ganz besonderen Filmgeschmack meiner wars leider nicht.Trotz Luna Wendler & Ella Rumpf und die Schweizer Film Preise 2022 für:Beste Film Musik,Beste Kamera und Bester Darsteller Pablo Caprez.Mehr anzeigen

Zuletzt geändert vor 2 Jahren


Julia

vor 2 Jahren

Also, irgendwie habe ich da keinen Zugang zu diesem Film. Drama pur, und auf quadratischer Leinwand. Irgendwie retro, viele Supernahaufnahmen. Und ja, ist komisch, Schwizerdütsch z'verstoh mängisch. Wo man hochdeutsch Gesprochenes leichter checkt.
Am besten mit NULL Erwartung rein. Dann kann nichts schiefgehn. Oder man verlässt den Film einfach irgendwann, wie ich🤪Mehr anzeigen


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