Lamb Island, Polen, Schweden 2021 – 106min.

Filmkritik

Unverhoffter Zuwachs

Christopher  Diekhaus
Filmkritik: Christopher Diekhaus

Viele isländische Filme verströmen schon wegen ihrer rauen, imposanten Naturkulisse eine einschüchternde Aura. Nicht anders ist es im Regiedebüt Valdimar Jóhannssons, der auf einem einsam gelegenen Bauernhof eine betont langsam vorgetragene, zwischen plötzlichem Familienglück und böser Vorahnung pendelnde Geschichte ansiedelt.

Mehrfach sehen wir María (Noomi Rapace) und ihrem Mann Ingvar (Hilmir Snær Guðnason) dabei zu, wie sie in einem Stall kleinen Lämmern auf die Welt helfen. Das Ganze ist Routine, nichts, was den beiden Bauern viel abverlangen würde. Doch eines Tages kommt alles anders. In ihren Blicken liegen Erstaunen und Verunsicherung. Den Grund dafür gibt die Kamera dem Zuschauer zunächst aber nicht preis. Wundersam erscheint nur, dass das Paar das in diesem Moment geborene Jungschaf zu sich ins Haus nimmt, es hegt und pflegt, als handele es sich um das eigene Baby. Einige Zeit später werden auch wir eingeweiht: Ada, so nennen sie das Lamm, ist ein Mischwesen aus Mensch und Tier und wächst nun auf wie ein richtiges Kind.

Die bizarre Offenbarung und das merkwürdige Erscheinungsbild der kleinen Kreatur könnten den Film komplett aus der Bahn werfen. Überraschenderweise gelingt es Jóhannsson jedoch, das Unglaubliche völlig normal wirken zu lassen. Weil María und Ingvar keinerlei Anstalten machen, die Situation zu hinterfragen, und das Hybridgeschöpf vielmehr als großes Geschenk begreifen, ist man selbst bereit, sich auf das eigenwillige Familienszenario einzulassen. Die Art und Weise, wie hier nach und nach echte Emotionen in eine unrealistische Handlung einfließen, erinnert an den Cannes-Gewinner „Titane“, der trotz blutiger Details eine überraschende Form der Zärtlichkeit und Geborgenheit produziert.

Spannend ist das isländische Mystery-Drama vor allem deshalb, weil es selbstbewusst und effektiv mit atmosphärischen Schwingungen spielt. In starren Einstellungen führt „Lamb“ in das karge Leben des Paares ein, das vor dem Auftauchen Adas die meiste Zeit bei schweigsamen Alltagsarbeiten gezeigt wird. Den ersten Wortwechsel zwischen den Eheleuten gibt es erst nach über neun Minuten. Schnell wird man das Gefühl nicht, dass irgendetwas Unausgesprochenes in der Luft liegt. Was genau, erzählen der Regisseur und sein Koautor Sjón mehr im Vorbeigehen, ohne die schmerzhaften Erfahrungen konkret ausbuchstabieren zu müssen.

Bedrückend ist nicht nur die wuchtig-schroffe, häufig nebelverhangene Berglandschaft, die den Einsiedlerhof umgibt. Unheil verkünden auch die sparsam eingesetzte, manchmal bedrohlich grollende Musik und die – so scheint es – ominös dreinschauenden Nutztiere. Sind die anderen Schafe womöglich eifersüchtig auf Adas besondere Stellung? Unruhe stiftet nicht zuletzt Ingvars Bruder Pétur (Björn Hlynur Haraldsson), der vorübergehend bei María und ihrem Gatten einzieht. Hinweise auf eine Eskalation, auf eine Zerstörung des neuen Glücks verstreut der Film schon früh. Jóhannsson verlangt dem Zuschauer allerdings einiges an Geduld ab. Immer wieder zögert er eine mögliche Zuspitzung hinaus, nur um in den letzten Minuten ein recht abruptes und schockierend gedachtes Statement zu setzen. Das Ende, das die Gemüter spalten dürfte, fällt gegenüber dem konzentrierten Aufbau zuvor spürbar ab. Weil „Lamb“ aber eindringlich gespielt ist, gekonnt eine mysteriöse Stimmung erzeugt und viel über seine eindrucksvollen Bilder erzählt, schadet der überhastete Schlussteil dem Gesamteindruck nur wenig.

18.11.2021

3.5

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Kommentare

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Swisscheese

vor 3 Jahren

Enttäuschend. Nichts gegen slow movies, aber dieser ist extrem slow


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