CH.FILM

Olga Frankreich, Schweiz, Ukraine 2021 – 85min.

Filmkritik

Euromaidan-Proteste vom Hügel aus gesehen

Filmkritik: Laurine Chiarini

«Olga» wurde an mehreren europäischen Festivals ausgezeichnet und vertrat die Schweiz in der Oscar-Premiere. Der Film verfolgt die Reise einer ukrainischen Teenagerin, einer Eliteturnerin im Schweizer Exil, als auf dem Maidan-Platz die blutige Revolution ausbricht.

Olga (Anastasiia Budiashkina) ist 15 Jahre alt. Sie ist rebellisch, streitet mit ihrer Mutter und verbringt gerne Zeit mit ihren Freunden. Aber ihr Leben ist nicht wie das jedes anderen Teenagers: Sie ist die beste Athletin der ukrainischen Gymnastik-Nationalmannschaft und trainiert ununterbrochen. Ihre Mutter, eine regimekritische Journalistin, ermittelt unter Lebensgefahr gegen Präsident Janukowitsch. Nachdem sie nur knapp einem Anschlag entkommen ist, überredet sie die Teenagerin, ihre Koffer für die Schweiz zu packen. Eine Chance, unter guten Bedingungen zu trainieren und bei den Europameisterschaften auf dem Podium zu stehen. Doch schon bald bricht der Aufstand auf dem Maidan-Platz aus und stürzt Olga in ein unmögliches Dilemma der Loyalität zwischen ihrem Land, ihrem Sport und ihrer Familie.

«Olga» verbindet dokumentarisches Archivmaterial des ukrainischen Volksaufstandes von 2013 mit einer fiktiven Geschichte. Der Film ist der Schnittpunkt all dieser Spannungen. Er erzählt die Geschichte eines erzwungenen Übergangs zum Erwachsensein. Beginnend mit dem Wettbewerb: Er ist überall hart, aber vielleicht noch etwas härter in Ländern mit sowjetischer Tradition. «Sie ist ein verdammter Roboter», sagt der Kapitän über Olga, die nachts allein trainiert. Sie besteht ebenfalls auch darauf, eine Schwierigkeit nach der anderen zu bewältigen – und sie tut so, als würde sie die Anweisungen des Schweizer Trainers nicht verstehen.

Im Jahr 2020 brach der «Magglingen-Skandal» aus, der von einigen Medien als eine Hölle der Belästigung, des Missbrauchs und der Demütigung beschrieben wurde. Der Name des Ortes, an dem die Schweizer Turnerinnen und Turner trainieren, wurde zum Synonym für die Exzesse des Spitzensports. Jedoch hat der Regisseur beschlossen, diese Seite der Branche nicht explizit anzuprangern.

Wie eine echte Stachanovistin schafft es Olga, die Tiefschläge und Rivalitäten durch Zähneknirschen zu überwinden: Ihre Geschichte ist auch eine Geschichte der Resilienz. Allein in einem Land, dessen Sprache sie nicht spricht und dessen Sitten und Gebräuche sie nicht kennt, hat die junge Frau keine andere Wahl, als sich zu zwingen, Französisch zu lernen. Sie verbessert sich stets, denn sie will immer ihr Bestes geben. Auch wenn sie dabei ihre Gesundheit riskiert.

Der Moment maximaler Spannung, in dem Olgas Knochenriss entdeckt wird, ist auch der geheimnisvollste Moment der Geschichte. Olga kann als Minderjährige nicht in die Ukraine zu ihrer Mutter zurückkehren, die bei den Maidan-Protesten schwer verletzt wurde. Verschlimmert sie also freiwillig ihre Verletzung, um nach Kiew zurückzukehren, oder trainiert sie doppelt so hart, um eine Chance auf die Teilnahme an den Olympischen Spielen zu haben?

Wir werden es nie erfahren, denn der Film springt an dieser Stelle in die Zukunft und endet einige Jahre später. Ohne diese Lücke hätte die Erzählung vielleicht an Klarheit gewonnen. Dennoch ist «Olga» ein sehenswerter Film, allein schon wegen des Blicks hinter die Kulissen einer glitzernden Welt, die es verdient, bekannt zu werden.

07.02.2022

3.5

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Kommentare

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thomasmarkus

vor 2 Jahren

Zum Zuschauen gehts oft an die Schmerzgrenze:
Sei es bei der Selbstausbeutung, im Turnsport -
oder sei es die Martyriumsbereitschaft beim politischen Aufstand.
Und ein ungewollter Vorspann zum Krieg, den Putin losgezettelt hat.
Als Vorfilm 'Ostrov': Schämen Sie sich eigentlich nie, Vladimir Vladimirowitsch Putin?Mehr anzeigen

Pesche

vor 2 Jahren

Scham war leider Putin immer fremd.


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