The Quiet Girl Irland 2022 – 95min.
Filmkritik
Eine brave Entfaltung
Meisterhaft, behutsam, nur manchmal zu brav – Colm Bairéad hat den ersten irischsprachigen Film vorgelegt, der für den Auslands-Oscar nominiert wurde.
Cáit (Catherine Clinch), ein schüchternes irisches Mädchen, lebt in einer dysfunktionalen Familie: Der Vater ist Alkoholiker, die Mutter uninteressiert und auch von ihren Schwestern wird sie abgelehnt. Schliesslich wird Cáit zu der Cousine ihrer Mutter, Eibhlín (Carrie Crowley), und deren Mann Seán (Andrew Bennett) geschickt – bei den beiden soll sie die Sommerferien verbringen. In der ruhigen Umgebung und dank der Aufmerksamkeit findet Cáit einen Ort, an dem sie aufblühen kann. Durch die Beschaulichkeit hindurch entdeckt Cáit dabei nach und nach die leidvolle Vergangenheit ihrer Gastgeber.
In «The Quiet Girl» gibt es einen Grundton, der im ganzen Film – bei Gefühl und Farbe – vorherrscht: den grosser Sanftheit. Zu weiten Teilen liegt das an den ruhigen, warmen Bildern und der ausgewogenen Klangwelt, die uns in einen irischen Sommer versetzen und dabei eine Atmosphäre der Harmonie und erholsamer Entschleunigung vermitteln. In den besinnlichsten Szenen des Films tauchen wir ganz und gar in den Schauplatz ein – der Film macht in diesen Momenten die Umgebung und ihre Textur zu einem ganz eigenen Erlebnis.
Der Ort ist dabei nicht nur für uns erholsam, sondern auch für Cáit, die hier eine ganz neue Verbindung zu ihrem Wesen und ihrem Körper entwickelt, auch hervorgerufen durch vieles Rennen. Dieses "Entdeckungs-Werkzeug" wird ihr von einem Mann offenbart, der nach und nach zu einer Vaterfigur wird – Seán. Der Film demonstriert auf schöne Weise, dass man sich von den Blutsbanden emanzipieren kann, wenn es darum geht, seine wahre Familie zu finden.
In Verbindung mit dieser berührenden Geschichte ist auch der Aufbau des Films – sorgfältig, kontrolliert und präzise – überaus ansprechend. Allerdings geht seine sehr präzise Struktur manchmal auf Kosten des tatsächlichen emotionalen Potentials. Denn genau wie die Protagonistin bleibt auch die Form von «The Quiet Girl» schrecklich brav. Auch auf die schmerzhaftesten Sequenzen färben die runden Klänge und die Schönheit der Bilder plötzlich ab. Das in der Geschichte ebenfalls vorhandene Leiden und das Trauma steht in einem starken Widerspruch zu seiner Ästhetik. Eine Dissonanz, die stört und schliesslich auch eine wirkliche Involviertheit des Publikums verhindert.
Die Seifenblase aus Sanftheit, in der der Film die ganze Zeit schwebt, hat zunächst eine eigene Qualität. Im letzten Drittel des Films erweist sie sich aber als hinderlich und schafft eine imaginäre, romantisierte Version des Leidens.
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Kommentare
Die Sanftheit des Filmes lässt einem plötzlich in böser Ahnung aufschrecken, aufatmen dann, aber sich weiter fragen:
wie würde es weitergehen? Mehr als eine Luftblase? Was wird bleiben, sich ändern?
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