CH.FILM

La Vie dans les Bois Belgien, Frankreich, Luxemburg, Schweiz 2022 – 100min.

Filmkritik

Eine befreiende und launische Rückkehr zu den Wurzeln

Filmkritik: Maxime Maynard

Der belgische Regisseur und Drehbuchautor François Pirot stellt in seinem neuen Spielfilm «La Vie dans les Bois», einer bittersüssen dramatischen Komödie, die Ängste der Moderne zur Schau.

Mathieu steht kurz vor der Implosion. Von allen Seiten wird er von seiner Frau, seinem Chef, seinem Vater und seinem besten Freund um Hilfe gebeten. Das ist alles zu viel. Wie verzaubert und hypnotisiert geht er in den Wald, fest entschlossen, loszulassen. Er kehrt zur Natur zurück, was seine Umgebung in Aufruhr versetzt.

Der moderne Mensch braucht die Natur! Das frankophone Kino hat das verstanden. Ein brodelndes Gefühl des Mangels, das bereits in den jüngsten Filmen «Les choses simples» von Éric Besnard und «La Montagne» von Thomas Salvador auf der Leinwand dargestellt wurde. Bei François Pirot und seinem «La Vie dans les Bois» richtet sich diese animalische Sehnsucht nach wilden Horizonten jedoch nicht auf hochgelegene Landschaften, sondern auf einen Wald am Rande eines Hauses in einem Wohnvorort. Mathieu braucht dann nur noch einen Schritt, um seinem Alltag zu entfliehen.

Mit grosser Aufrichtigkeit spielt Jérémie Renier eine Figur, die sich in einer existenziellen Krise befindet, eine Situation, die den Alltag seiner Angehörigen stört. Um den belgischen Schauspieler zu begleiten, wählt Fançois Pirot die Kanadierin Suzanne Clément, die Franzosen Samir Guesmi und Jackie Berroyer sowie den Franko-Schweizer Jean-Luc Bideau in einer frankophonen, internationalen und passgenauen Besetzung. Bis zum Punkt des Zusammenbruchs folgt die Kamera aus nächster Nähe jedem ihrer Protagonisten. Und der Film wird zum Chor.

Um den Kontrast zwischen Moderne und Natur zu veranschaulichen, wendet sich der Filmemacher an den Kameramann Florian Berutti. Das Format der Leinwand ändert sich; die Kamera wackelt von der Schulter aus, dann ist sie stabil; die Farben sind fade, dann leuchtend und gesättigt, sobald die wilde Grenze überschritten ist: Das Bild erwacht zum Leben, um sich minutiös den Ereignissen anzupassen. Die einfachen, aber effektiven Techniken veranschaulichen einen visuellen Gegensatz zweier Welten, der durch den Schnitt von Nicolas Rumpl rhythmisiert und von einem wunderschönen Soundtrack begleitet wird.

Während der 100 Filmminuten untermalen Benoît Merniers eigens für das Projekt geschaffene, störrische klassische Kompositionen die wechselnden Tonlagen und Stimmungen des Werkes und seiner Figuren. Eine bezaubernde musikalische Welt, die einen Hauch von Fantasy mit sich bringt. Abwechselnd nimmt der Wald, ein Ort für innere Metamorphosen, Züge von Disney- oder Horrorlandschaften an: ein magischer Realismus des Hörens, der eine sehr persönliche Vision jeder der Figuren illustriert.

Der herbe und ungewöhnliche Film «La Vie dans les Bois» zeigt die Bissigkeit, die dem belgischen Kino eigen ist. Ein Spielfilm mit vorgetäuschten pessimistischen Zügen, der Lust auf frische Luft macht.

Übersetzung aus dem Französischen durch Maria Engler

04.05.2023

3.5

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