Ein ganzes Leben Österreich, Deutschland 2022 – 116min.

Filmkritik

Lebensgeschichte eines Bergbewohners

Maria Engler
Filmkritik: Maria Engler

«Ein ganzes Leben» bietet nicht nur einen sehenswerten Ausflug in die Alpenidylle, sondern auch einen Einblick in die Geschichte des 20. Jahrhunderts. Leider bleibt die Hauptfigur so unzugänglich, dass irgendwann Langeweile aufkommt.

Andreas Egger ist ein kleiner Junge, als er um 1900 als Waise in eine Bauernfamilie in den Alpen kommt. Erst als junger Mann kann er sich aus der Tyrannei des Familienoberhauptes befreien und sein eigenes Glück suchen. Trotz eines Hinkens nach der Misshandlung seines Ziehvaters, ist er ein guter Arbeiter und lernt die Liebe seines Lebens kennen. Doch er wird in seinem langen Leben von mehr als einem Schicksalsschlag heimgesucht und muss sich immer wieder mit der Vergangenheit versöhnen.

«Ein ganzes Leben» hält, was der Titel verspricht. Der Film, der auf dem gleichnamigen Erfolgsroman des Österreichers Robert Seethaler basiert, begleitet knapp 80 Jahre Lebensgeschichte des Alpenbewohners Andreas Egger (Stefan Gorski) – auch durch die historischen Umwälzungen der Zeit zwischen 1900 und 1980.

Besonders interessant ist «Ein ganzes Leben» immer dann, wenn die Weltgeschichte ihre Spuren in dem kleinen österreichischen Bergdorf hinterlässt, in dem Andreas lebt – die erste Glühbirne, die erste Seilbahn, die einen Weg durch die Alpenidylle bahnt, der Krieg und schliesslich das Entstehen des Tourismus. Diese Entwicklungen werden ausschliesslich aus der Perspektive der Hauptfigur betrachtet und bieten so einen ganz persönlichen Blick auf die bedeutenden historischen Ereignisse des 20. Jahrhunderts sowie die Auswirkungen der Modernisierung auf ein abgelegenes Dorf in den Alpen.

Der Schweizer Regisseur Hans Steinbichler beweist in «Ein ganzes Leben» ein gutes Auge und setzt die Alpenlandschaft immer wieder eindrucksvoll in Szene. Es sind nicht nur die urtümlichen Wälder und abgelegenen Bergwelten, die den Film visuell eindrucksvoll machen, sondern auch die Darstellungen der ungeheuren Arbeitskraft der Menschen, die die Modernisierung teilweise mit ihrem Leben bezahlen.

Leider springt der Funke im Bereich Erzählung nicht immer über. «Ein ganzes Leben» ist etwas lang geraten und bietet vor allem in der zweiten Hälfte eher Wiederholungen als viel Neues. Die Entwicklung der Hauptfigur gerät ins Stocken, sie beisst sich an einem Trauma fest und lässt erst zum Ende des Films wieder Nähe zum Publikum und eine sehenswerte Veränderung zu. Das macht den Film leider langatmig und etwas dröge – da helfen auch die schönsten Alpenpanoramen wenig.

Egger ist als Hauptfigur im Fokus von «Ein ganzes Leben», bietet aber nur in wenigen Momenten Einblick in sein Inneres. Die meiste Zeit über ist er weder zugänglich noch besonders interessant – ausser etwas ausdrucksleeren Blicken in die Kamera wird wenig geboten, um die Figur zu verstehen. Besonders eigenartig wird es immer, wenn ihm, dem einfachen Arbeiter ohne Schulbildung, Zitate aus dem Roman in den Mund gelegt werden, die vor schriftstellerischer Brillanz nur so funkeln – das macht diesen schwer lesbaren Charakter nur noch irritierender.

04.10.2023

2.5

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Kommentare

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thomasmarkus

vor einem Jahr

"Du kannst schön reden", durchaus positiv gemeint, wird ihm gesagt - und mann wundert sich, wo und wie er das gelernt hat...
Auch wenn er weiss, sich zu bekreuzigen - glauben tut er nicht. Was ehrlicher ist als Betsstöckli beim Stiefvater und seine "Stoss-" (scil: "Schlag-")Gebete.


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