Pamfir Chile, Frankreich, Luxemburg, Polen, Ukraine 2022 – 102min.

Filmkritik

Reigen für einen fatalen Karneval

Filmkritik: Colin Schwab

Mit «Pamfir» dreht Dmytro Sukholytkyy-Sobchuk seinen ersten abendfüllenden Spielfilm. Ein neuer Zyklus, der hoffentlich noch lange anhält, da dieser Film so gelungen ist.

Ein kleines ukrainisches Dorf, unmittelbar an die rumänische Grenze. Pamfir (Oleksandr Yatsentyuk) kehrt nach langer Zeit endlich nach Hause zurück, sehr zur Freude seines Sohnes Nazar (Stanislav Potiak). Allerdings kann er dort nur sehr kurz bleiben. Im Ausland ruft bereits die Arbeit, mit der er seine Familie – legal – ernähren kann. Damit sein Vater noch ein wenig länger bleibt – zumindest bis zum berühmten Karneval im Dorf –, begeht sein Sohn eine Verzweiflungstat und zerstört ein Gemeinschaftseigentum, das sowohl materiell als auch symbolisch wertvoll ist. Um die Betroffenen zu entschädigen, muss Pamfir mit Schmuggel und Raubüberfällen zu Geld kommen - alte Gewohnheiten, die er lieber hinter sich gelassen hätte.

Die Kamera von Sukholytkyy-Sobchuk schwebt um die Figuren herum, die von einer seltsamen Energie angetrieben werden, von all den gegensätzlichen Dynamiken, die das Dorf erschüttern und die Familie zerreißen. Während des gesamten Films umkreist sie unaufhörlich ihre Körper.

Dieses systematische Kreismotiv verstärkt und unterstützt eine der wichtigsten und spannendsten Fragen des Films: die Frage nach der Weitergabe, dem Erbe und der Verflechtung der Lebenszyklen. Der Vater, dessen Zyklus durch Gewalt und Armut beeinträchtigt wurde, wünscht sich für seinen Sohn einen ganz anderen Lebensweg. Er will Nazar, der in seiner Umgebung so verloren und ziellos ist, ein materielles und immaterielles Erbe übergeben, das es ihm ermöglicht, das Dorf zu verlassen und mit seinem Kopf, nicht mit seinen Händen, Geld zu verdienen.

Der Wille zur Veränderung, der durch die Weitergabe ermöglicht wird, scheint hier jedoch gefährdet und die Kommunikation, die sie erfordert, unmöglich. In den wenigen Dorfbewohnern gibt es zu viele unvereinbare Kräfte. Ein Teil der Gemeinschaft findet die Wahrheit in der Religion, der andere lehnt sie vehement ab. Ein Teil lebt in Armut, während ein anderer Teil seinen Reichtum genießt und ausnutzt. Zu viele Möglichkeiten, sich in einem winzigen Mikrokosmos der Realität gegenüber zu positionieren. Eine Vielzahl von Ebenen, die zu einer Unmöglichkeit der Kommunikation führt und dazu, dass man häufig auf Lügen zurückgreift, um nicht das Gesicht zu verlieren. Wo die Kommunikation unter einer Maskerade stattfindet, ist es unmöglich, etwas weiterzugeben. Das Kind wird nur die faulen Teile der elterlichen Frucht erben.

In diesem Kontext scheint niemand in der Lage zu sein, einem verhängnisvollen Schicksal zu entgehen: Die von der Kamera gezeichneten Kreise sehen aus wie die Umrisse eines Gefängnisses. Es sind Zellen. Die Zellen eines wuchernden, zweideutigen filmischen Organismus, der eine ungeheure Lebensenergie ausstrahlt. Schmutzig, verstörend, lebendig.

Übersetzung aus dem Französischen durch Maria Engler

16.02.2023

4.5

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Kommentare

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thomasmarkus

vor einem Jahr

Spannend die Fragen nach Religion und Gott.
Einmal zitiert Pamfir, dass er nicht das tue, was er wolle, aber was er nicht wolle, das tue er.
Realisiert er, dass er Paulus zitiert?
Die Kirche scheint eher evangelisch/evangelikal. So wenig zu vermuten in der Ukraine?


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