In Camera Grossbritannien 2023 – 96min.
Filmkritik
Albtraumhafte Castings
In seinem Spielfilm-Erstling «In Camera» wirft Regisseur Naqqash Khalid das Publikum in eine wilde Mischung aus Medien-Satire, Drama und surrealem Filmerlebnis. In gerade einmal 95 Minuten Laufzeit präsentiert er eine Vielzahl an innovativen Ideen und komplexen Themen, die sich kreativ miteinander verschränken.
Endlich als Schauspieler Erfolg haben: Das ist der Traum von Aden, der von Casting zu Casting tingelt und dabei immer wieder in ein enges Rollenkorsett geschnürt wird. Männer mit seiner Hautfarbe dürfen Terroristen oder Verbrecher spielen – oder führt die Modeerscheinung Diversität endlich zu mehr Möglichkeiten, wie Adens Mitbewohner Conrad ständig predigt? Zwischen seltsamen Engagements in therapeutischen Sitzungen und Auftritten als Model kommt Aden eine Idee – warum nicht im echten Leben einen erfolgreichen Menschen spielen? Fake it till you make it!
«In Camera» ist eine spannende Satire auf die Welt moderner Medien und Filmschaffender und die Mechanismen, nach denen Filme und Serien produziert werden. Das Publikum begleitet Aden auf mehreren Castings, in denen zum Teil dämliche, seltsame oder rassistische Ideen umgesetzt werden sollen. Besonders ist dabei die visuelle Umsetzung der Vorsprechen, die direkt die Szenen zeigen, für die sich Aden (Nabhaan Rizwan) gerade bewirbt. Sowohl er als auch die SpielparterInnen (zumeist gelangweilte Mitarbeitende der Casting-Agentur) werden komplett mit Kostüm und Szenenbild in die jeweilige Situation gesetzt, was nicht nur witzig, sondern auch hintersinnig ist – vor allem, wenn mittendrin Regie-Anweisungen gegeben werden.
Doch das Spezielle an «In Camera» ist, dass sich die zunächst einigermassen stringente Handlung mehr und mehr in surreale und traumähnliche Sequenzen auflöst. Die Grenzen zwischen Traum und Realität beginnen bereits früh zu verschwimmen, wenn Adens Mitbewohner Bo (Rory Fleck Byrne), ein überarbeiteter Assistenzarzt, zunehmend merkwürdige Dinge erlebt, von Snackautomaten verfolgt wird oder mit unheimlichen Träumen (oder ist es doch Realität?) zu kämpfen hat. Die faszinierenden Seltsamkeiten greifen immer mehr auf die restliche Handlung über, bis sie schliesslich beherrschend sind – spannend!
Generell ist Adens WG und die eigenartige Dynamik zwischen den Mitbewohnern ein interessantes Handlungsfeld in «In Camera», das jeden berühren wird, der schon einmal mit zunächst fremden Menschen zusammen gewohnt hat. Das Ganze gipfelt in Adens Imitation seines ambitionierten Mitbewohners Conrad (Amir El-Masry), dessen Austausch dem weissen Mitbewohner Bo vollständig entgeht – ein nicht gerade subtiler, aber umso eindringlicherer Kommentar zum Thema Rassismus.
«In Camera» ist das Spielfilmdebüt des britischen Regisseurs Naqqash Khalid, der auch das Drehbuch für den Film verfasste. Er untergräbt gekonnt die Erwartungen des Publikums und entfernt sich zusehends von den Konventionen des Filmemachens, was zwar ein spannender Ansatz ist, den Film aber auch etwas sperrig macht. Auch das (absichtlich) ausdruckslose Schauspiel des Hauptdarstellers Nabhaan Rizwan erschwert etwas den Zugang zum Film, der insgesamt aber trotzdem ein sehenswertes Werk im hoffentlich wachsenden Repertoire des Filmemachers ist.
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