The Iron Claw Grossbritannien, USA 2023 – 132min.

Filmkritik

Familienfluch der toxischen Männlichkeit

Maria Engler
Filmkritik: Maria Engler

80er-Jahre-Wrestling, fiese Frisuren, gestählte Körper – was wie eine Ansammlung veralteter Film-Klischees klingt, dient dem Regisseur Sean Durkin in «The Iron Claw» als Verpackung für ein bewegendes Familiendrama und eine tiefgreifende Auseinandersetzung mit dem Mythos der Männlichkeit.

Sein Markenzeichen ist die Iron Claw, ein eiserner Griff ins Gesicht seines Gegners, doch trotz seines zupackenden Charakters lässt sich der Traum des Wrestlers Fritz Von Erich vom Weltmeistertitel nicht erfüllen. Jahre später drillt er seine vier Söhne Kevin, David, Mike und Kerry unerbittlich, damit sie sein Erbe weitertragen. Sie alle sollen erfolgreiche Wrestler werden – um jeden Preis.

Der Stärkste, Härteste und Beste sein, damit man niemals verletzt werden kann – das ist die Lebensphilosophie des Familienoberhauptes Fritz Von Erich (Holt McCallany). Eingebettet in die Fönfrisuren-Welt des 80er-Jahre-Wrestlings erzählt «The Iron Claw» deshalb vor allem von einer Familie, die sich komplett ihrem Patriarchen und seinen toxischen Männlichkeitsidealen verschrieben hat. Jegliche Emotion wird hinter hypermaskulinen Muskelbergen versteckt, nur Kraft und Leistung zählt – ein Anspruch, an dem seine Söhne zerbrechen.

Im Auge des Sturms und damit im Mittelpunkt des Films steht Kevin Von Erich (Zac Efron), der als Ältester den höchsten Ansprüchen genügen und gleichzeitig eine Stütze für seine jüngeren Brüder sein muss. Die niemals ausreichenden Anstrengungen der Söhne, ihre psychische und physische Überlastung und der lieblose Umgang des übermächtigen Vaters in diesem sportlichen Familiendrama sind mitunter nur schwer zu ertragen. Das liegt unter anderem an der exzellenten Leistung von Zac Efron, der trotz seines aufgepumpten Körpers überzeugend überbordende Gefühle, Empathie und einen Sinn für Familienzusammenhalt vermitteln kann und eine echte emotionale Bindung für das Publikum ermöglicht.

«The Iron Claw» driftet trotz der zahlreichen Tragödien, die sich im Lauf des Films ereignen, niemals ins Kitschige oder vollends in die Hoffnungslosigkeit ab. Als Gegengewicht zu den väterlichen Grausamkeiten steht der enge und bewegende Zusammenhalt der Brüder, der dem Film abseits der beeindruckenden Wrestling-Performances grosse emotionale Tiefe gibt.

Fingerspitzengefühl beweisen der Regisseur Sean Durkin und sein Cast auch im Umgang mit den realen Hintergründen der Geschichte. Das Herausstreichen des jüngsten Bruders Chris aus dem Film ist sicherlich eine der radikalsten Änderungen, bewahrt aber vor einer zu langen Laufzeit und einer Abschwächung der Geschichte durch zu viele Wiederholungen. Spannend ist zudem, dass alle Wrestling-Matches ohne Unterbrechungen in voller Länge vor einem Live-Publikum gedreht und von den Darstellern selbst performt wurden. Diese Hingabe und Realitätsnähe ist in «The Iron Claw» deutlich zu spüren und bringt eine grosse Wucht und Dramatik auch in die sportlichen Szenen des Films.

Sean Durkin, der bereits mit seinem letzten Film «The Nest» (2020) eine Familiengeschichte in den 80er-Jahren erzählte, beweist in «The Iron Claw» echtes Gespür für Emotionen und Familiendynamik und platziert die Handlung geschickt und ohne unnötige Nostalgie in einer glaubhaften Version der 80er-Jahre. Dirkin, der selbst Wrestlingfan ist und als Kind die Matches der Von-Erich-Familie live im Fernsehen verfolgte, erschafft eine lebendige Welt, in der er seine tragische Geschichte stimmungsvoll einbettet – auch wenn einige Frisuren und Outfits heute gewöhnungsbedürftig sind.

22.01.2024

4.5

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Kommentare

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thomasmarkus

vor 9 Monaten

Nur ins (ausser mir leere) Kino gegangen der guten Bewertungssterne wegen.
Anfangs hätt ich weniger gegeben, dann immer mehr (fast fünf).
Anfangs wegen guter Filmarbeit, guten Filmideen. Vieles nur angedeutet, nicht ausgespielt, und meist knapp genug.
So dass die böse Vorahnung schon an der langen Leine gehalten wird.
Gut eingefangen das Zeitkolorit.
Mit Wrestling selber wenig vertraut, und dieser Show-Sport bleib weiter eingermassen fremd.
Aber die Geschichte, die langsam zum griechischen Drama geriet, zeigt die eigentlichen Kämpfe ennet der Muskelpakete.
(Spoileralarm: Zwei Szenen mit Münze - Charon, Lethe und christliches Wiedersehen. Show oder Himmelsschau?)Mehr anzeigen


Taz

vor 10 Monaten

Beeindruckend, tragisch und intensiv gespielt. Dieses Drama das sich im Wrestlingbusiness abspielt, überzeugt durch einfühlsames Storytelling und herausragende Darsteller. Der Zuschauer wird gepackt und bis zum Schluss nicht mehr losgelassen. Fast so, wie in der Claw, dem Finisher den Von Erichs.Mehr anzeigen


flashgordon99

vor 10 Monaten

Tragische Geschichte einer Familie, bei der die jungen Brüder auf sich alleine gestellt waren und mit der harten idealistischen Gangart des Vaters zurechtkommen mussten. Sehr gut und intensiv dargestellt. Trotz mehr als zwei Stundne Laufzeit ist es sehr kurzweilig.


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