The Line USA 2023 – 100min.

Filmkritik

Das Gift der Männlichkeit

Maria Engler
Filmkritik: Maria Engler

Das Spielfilmdebüt von Regisseur Ethan Berger ist ein eindrucksvolles und verstörendes Werk über toxische Männlichkeit und Gewalt in Studentenverbindungen. «Hereditary»-Entdeckung Alex Wolff darf sich hier ausserdem in seiner ersten Hauptrolle versuchen.

Tom ist ein stolzes Mitglied der Studentenverbindung KNA, die für ihn wichtiger als alles andere ist. Inmitten seiner “Brüder” fühlt er sich unverwundbar. Wie jedes Jahr konkurriert eine Gruppe von Neulingen um freie Plätze in der Burschenschaft, doch der arrogante Anwärter Gettys O’Brian macht sich nicht nur Freunde. Ständig beleidigt er Toms besten Freund Mitch, doch der Präsident der Verbindung will den Sohn einflussreicher Eltern unbedingt aufnehmen. Die Streitigkeiten spitzen sich zu.

«The Line» taucht kopfüber in einen sozialen Mikrokosmos ein, der immer wieder den Ausgangspunkt für filmische Betrachtungen bildet: die Studentenverbindung. Auch im Jahr 2023, inmitten gesellschaftlicher Diskussionen über den Umgang mit Sexismus und Rassismus, aber auch zunehmender Kapitalismuskritik, ist das Thema weiterhin so aktuell, dass ein weiterer Film, vor allem, wenn er so vielschichtig und interessant ist wie «The Line», mehr als willkommen ist.

Oberflächlich handelt «The Line» von der Burschenschaft als soziales Konstrukt und warum vor allem die teilweise gewalttätigen und demütigenden Aufnahmerituale problematisch sind. Obwohl auch das kein neues Thema ist, zeigen die wiederkehrenden Meldungen von schweren Verletzungen und Todesfällen bei den Ritualen und Mutproben, dass die dramatischen und teilweise erschreckenden Darstellungen in «The Line» weiterhin Brisanz besitzen.

Spannend ist aber vor allem die zweite Ebene der Handlung, die Tom (Alex Wolff) in den Fokus nimmt und aus seiner Sicht die Burschenschaft betrachtet. Gegenüber den Zweifeln seiner Mutter stellt er den alles überschattenden Vorteil heraus: das Knüpfen von Kontakten mit den Mächtigen und Reichen, die die Zukunft bestimmen und Führungspositionen übernehmen werden.

Doch was «The Line» wirklich zeigt, ist die grosse Ungerechtigkeit, die dem zugrunde liegt. Toms bester Freund Mitch (Bo Mitchell) verkörpert perfekt das Stereotyp, denn die meisten Burschenschafter im Film sind sexistische, homophobe, rassistische Dummköpfe, deren einziger Erfolg es zu sein scheint, in eine wohlhabende, machtvolle Familie geboren worden zu sein. Vor allem das Ende des Films schlägt gekonnt in diese Kerbe und macht die Kritik an einem System, in dem Geld immer noch mehr Geld und Macht weitere Macht generiert, perfekt, wenn auch nur mit geballten Fäusten auszuhalten.

Ebenfalls schwer zu ertragen ist die toxische Männlichkeit, die «The Line» in aller Ausführlichkeit und Vielfalt durchexerziert. Um cool, männlich und akzeptiert zu sein, diskriminieren und beleidigen die “Brüder” alle Menschen, die nicht männlich, weiss, cis und hetero sind. Tom erkennt erst in der Beziehung zur weitaus offeneren Studentin Annabelle (Halle Bailey) die Problematik dieses Verhaltens – seine “Brüder” sind ihm zunehmend peinlich.

Alles in allem ist «The Line» ein spannendes Drama mit einer soliden Besetzung, aus der Alex Wolff mit grosser emotionaler Bandbreite heraussticht. Obwohl die Geschichte von Regie-Neuling Ethan Berger nicht besonders innovativ ist, überzeugt der Film mit einer erschreckenden Darstellung von toxischer Männlichkeit und tiefgreifender Kritik patriarchaler Machtstrukturen.

10.10.2023

4

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