Dead Man Walking - Sein letzter Gang USA 1995 – 122min.
Filmkritik
Die schönen Seiten der Todesstrafe
Fürchte dich nicht, Europäer, wenn die Amerikaner ihre cineastischen Blutorgien veranstalten, alles eitel Schall und Rauch! Aber wehe, wenn sie sich mit gebührendem Ernst um die sog. schwierigen Themen kümmern. "Dead Man Walking" ist ein Film über humane Sterbebegleitung im amerikanischen Strafvollzug, über Nächstenliebe und andere Anforderungen des Nonnenberufs, es ist aber auch ein Film über das menschliche Gewissen und über das, was Christen unter würdevollem Sterben verstehen.
Freilich, der Film handelt auch von der Todesstrafe, und es hiess sogar, er handle von nichts anderem: Matthew Poncelet (Sean Penn) ist nämlich rechtskräftig zum Tod verurteilt, die Chancen auf Begnadigung sind etwa gleich null, die Exekution steht unmittelbar bevor. Sister Helen Prejean (Susan Sarandon) ist zwar anfänglich um einen Berufungsanwalt besorgt, aber ihr Fachgebiet ist nun einmal nicht der juristische Kram, sondern die menschliche Seele. Der Rest des Films handelt also davon, wie die Nonne dem Killer ein volles Tatgeständnis zu entlocken versucht (denn bisher hat er hartnäckig geleugnet), er soll die Eltern der beiden Opfer um Verzeihung bitten und die volle Verantwortung für seine Tat übernehmen, - natürlich in seinem eigenen Interesse, denn es stirbt sich besser, wenn man Frieden mit sich und mit der Welt geschlossen hat. Die Schwester hat Erfolg: wir sehen den harten Knacki weinen, beten, um Verzeihung flehen, - die Hinrichtung selber erlebt der Zuschauer nach diesem Sieg eher in einem Zustand aufatmender Erleichterung denn als Klimax von Wut und Empörung.
Mag sein, dass Tim Robbins (Regie) und seine Gattin (Sarandon) und gewiss auch die fromme Helen Prejean (die gleichnamige Gottesfrau in echt) ziemlich fortschrittliche Ansichten über die Todesstrafe haben, aber von ihrem Film kann man das leider nicht behaupten. Wenn die verbalen Statements gegen das Töten von Amtes wegen diesen bitteren Kelch noch an uns haben vorübergehen lassen, so räumt spätestens die fatale Parallelmontage am Ende des Films alle Zweifel aus: der Ablauf der Hinrichtung, die Bewegungen der Injektionsmaschine und des sterbenden Körpers in rhythmischem Wechsel mit der nächtlichen Vergewaltigungs- und Mordszene, um derenwegen der Delinquent verurteilt worden ist. Mag sein, dass sich Nichtregisseur Robbins der verheerenden Konsequenz einer solchen Montage nicht bewusst war, mag sein, dass er damit eigentlich sagen wollte, der staatliche Mord sei genauso schlimm wie der private. Aber die filmische Syntax macht eine ganz andere Aussage: in einem Film, der zwei Stunden lang auf das Schuldeingeständnis eines Todeskandidaten mit anschliessender Hinrichtung zusteuert, lässt sich diese plumpe rhetorische Figur nicht anders lesen denn als Legitimation jener barbarischen Justiz: die unleugbare Ursache und ihre bedauerliche Wirkung, Schuld und Sühne, und wenn auch leider nicht Versöhnlichkeit im Sinne des Evangeliums (Joh 7.8.7), so doch wenigstens alttestamentarische Gerechtigkeit (2. Mose 21.12!). Eine solche Szene ist jedenfalls auch für Befürworter der Todesstrafe akzeptabel: hier die brutale Tat eines Sexmörders an unschuldigen Teenagern und da seine messianisch ästhetisierte Bestrafung, politisch gewiss diskutabel, aber durchgeführt mit modernsten Mitteln, human und schmerzlos und immerhin im tröstlichen Beisein von fürsorglichen Aerzten, bedauernden Anwälten und liebenden Nonnen. - Weshalb wohl ist der Film in den USA so gut gelaufen, im Lande der Henker? Etwa wegen Sarandon, die seit Thelma und Louise eine völlig unangemessene Credibility geniesst und sich mit feuchtem Auge und verständnis-innig bebendem Unterkiefer natürlich einen Oscar holte? Gewiss: den American Way of Being Concerned trifft sie mit einer solchen Performance haargenau, und angeblich engagiert sie sich privat gegen die Todesstrafe. Überhaupt liessen sich bis hier vielleicht alle formalen Mängel - in dubio pro reo - mit der guten Absicht ihrer Macher entschuldigen. Aber wenn ein Film mit einem solchen moralischen Anspruch daherkommt, muss er sich auch ein moralisches Urteil gefallen lassen: Die christliche Logik der Argumentation verleiht dem Film eine gewisse philosophische Unschärfe, sie verhindert ein klares Statement. "Dead Man Walking" begeht genau das, was seit Golgatha die Erbsünde aller christlichen Lehre ist: selbst noch dem Schlimmsten einen Sinn abzukriegen, Bosheit in Fügung zu verwandeln, Marter in Erlösung, - kurz: das Schlechte als das doch irgendwie Gute zu denken.
Die skandalöse Impertinenz des Films besteht aber darin, dass die Nonne mitsamt ihrer Glaubensgemeinschaft diese Bekehrung in letzter Minute, dieses Schuldbekenntnis eines Verzweifelten sich als seelsorgerischen Erfolg aufs Kreuzbanner schreiben dürfen, - als wäre es ein Kunststück, einen Mann in die Knie zu kriegen, der am Ende des death row dem Henker gegenübersteht. In dieser Situation - ausgestreckte Nonnenhände hin oder her - offenbart sich jene traditionsreiche unheilige Allianz zwischen Staat, Medizin und Kirche. In ihrer mörderischen Arbeitsteilung wird jede individuelle Ansicht über die Todesstrafe irrelevant: der Staat sorgt für eine möglichst humane Infrastruktur des Tötens, der Arzt für das körperliche Wohlbefinden, die Nonne für das "sei tapfer", für Beichte und "Würde". Wahrlich, ich sage euch: "Dead Man Walking" ist ein zutiefst unmenschlicher Film, der seinen Pferdefuss unter dem zerlumpten Mäntelchen eines christlichen Humanismus nur schlecht verbergen kann.
Weil auch ich aber nicht von Euch scheiden will ohne ein Zeichen der Versöhnung: Sean Penn spielt den Delinquenten prima, oder - darf es etwas ausgewogener sein? - ganz genau so, wie ihn De Niro in einem Scorsese spielen würde, also ziemlich gut.
Dein Film-Rating
Kommentare
strake regie von robbins... starke story, starke sarandon und eiin unvergessliche sean penn.
"Ihre Filmkritiken sind so vollkommen überflüssig wie Ihre spiessigen Fotos. Überflüssigkeit in ihrer reinsten Form. " Ich hoffe Sie fühlen sich angesprochen.
Dem Film wird vorgeworfen, durch die Parallelschnitte während der Exekution werde der Eindruck vermittelt, dass das Gezeigte einer angemessenen Strafe entspricht, während die eigentliche Absicht ein Statement gegen die Todesstrafe gewesen wäre. Der Kritiker wünscht sich somit eine stärkere Aussage des Films. Mit anderen Worten, er hätte sich den „ Moralischen Zeigfinger“ gewünscht. Hätten die Macher des Films auf ihn gehört, hätte der Film meinerseits nur einen Stern bekommen, denn ich hätte ihn schlicht nicht ernst nehmen können. Ich hasse nichts mehr, als wenn ein Film manipulativ ist und mir sagen will, was ich gut zu finden oder abzulehnen habe.
Der Film zeigt hingegen einfach, was ist und überlässt es dem Zuschauer, sich eine Meinung zu bilden. Er kann sowohl von Gegner, wie auch von Befürwortern der Todesstrafe akzeptiert werden und darin liegt die Stärke des Films.
Stark finde ich die Szene, wo der Verurteilte sich von der Familie verabschieden kann. Hier wird ohne rührige Musik einfach gezeigt, wie sich eine Familie von einem Täter vor der Hinrichtung verabschiedet. Man weiss jetzt, wie man sich das etwa vorstellen muss und entdeckt die unglaubliche Absurdität und Perversion der Situation. Einem gesunden Menschen, der (zwar vielleicht für immer hinter Gittern) noch lange Vater, Freund oder Bruder sein könnte, wird vom Staat das Leben genommen. Die genaue Uhrzeit wird festgelegt, der Verurteilte wird zur Exekution geführt und der Henker gibt die Spritze. Man kann sich ein Bild vom Ablauf einer solchen Hinrichtung machen und selber entscheiden, ob man dies human findet oder nicht. Damit Kritiker nicht einwenden können, der Film sei nicht objektiv und es gehe vergessen, was der Täter einmal (vor langer Zeit) getan hat, zeigt er in dem Augenblick, wo sicher jeder Zuschauer automatisch Mitleid - mit der während des Films kennen gelernten Person - hat, noch einmal genau, mit welcher Brutalität und Herzlosigkeit der Täter vorgegangen ist. Diese Gegenüberstellung ist genau zu diesem Zeitpunkt nötig, denn sonst macht es sich ein Film zu einfach. Logisch, dass der Zuschauer mit einem Charakter, den man während des ganzen Films kennen lern, mitleid bekommt und das gezeigte ungerecht findet. Man muss sich aber genau in diesem Moment vor Augen führen, was er gemacht hat. Wenn man Genugtuung verspürt, dann kann man die Todesstrafe aus moralischer Sicht gutheissen; wenn nicht, muss man sie ablehnen. Der Film will an dieser Stelle eben nicht den Höhepunkt von Wut und Empörung beim Zuschauer hervorrufen, sondern die Beurteilung dem Zuschauer überlassen; und zwar unter Vorbringung aller Tatsachen (auch derjenigen, dass der Verurteilte mit menschenverachtender Brutalität einen anderen getötet hat).
Weiter wird kritisiert, dass der Film die Todesstrafe rechtfertigt, indem er zeigt, dass sie ja Funktioniert, weil der Verurteilte die Tat am Schluss bereut.
Hier wird so getan, als ob das einzige Ziel der Todesstrafe darin bestehen würde, dass der Verurteilte seine Taten bereut. Dies ist natürlich nicht so. Die Geschichte mit dem Seelenfrieden ist eine andere Ebene, ein anderes Thema und nicht so direkt mit der Todesstrafe an sich verknüpft. Es zeigt lediglich einen persönlichen Aspekt des Verurteilten, nämlich wie er zu seinen Taten steht und wie er sich dafür vor Gott verantworten will. Dieses zweite Thema könnte auch behandelt werden, indem man einen lebenslänglich Verurteilten zeigt, der schwer krank ist und so gezwungen wird, über sein Leben und seine Taten nachzudenken. Dass der Verurteilte es vorzieht sich zu entschuldigen, ist eine persönliche Entscheidung, auf die der Film zwar hinarbeitet, aber nicht mit der Aussage über die Todesstrafe generell verknüpft werden kann.
Der Film vertritt somit tatsächlich die Aussage, dass es sich in Frieden besser sterben lässt. Die Beurteilung der Angemessenheit und moralischen Richtigkeit der Todesstrafe, überlässt er aber dem Zuschauer. Anders lässt sich die parallele Darstellung vom Mord und der Exekution meiner Meinung nach nicht deuten.… Mehr anzeigen
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