Der schmale Grat Kanada, USA 1998 – 170min.

Filmkritik

The Thin Red Line

Filmkritik: Martin Glauser

Die Handlung: Während der historischen Schlacht um Guadalcanal arbeitet sich eine Einheit der amerikanischen Streitkräfte einen strategisch wichtigen Hügel hinauf. Das ist die ganze Geschichte. Der Film hat weder ein Zentrum in einer seiner Figuren noch eine Spannungskurve mit Klimax und Happy End (bei Kriegsfilmen: alle tot ausser Hauptfiguren minus eine); keine Sinnvollen Sterber, keine Tapferen Überleber. Nur eine Handvoll Individuen, die jeweils auf ihre Weise versuchen, ihre innere Welt im Chaos des Krieges zusammenzuhalten, so gut es eben geht (Es geht meistens nicht so gut).

Der Film beginnt mit einem Prolog um den Soldaten Witt (Jim Caviezel), der sich vorübergehend von der Front absentiert hat und mit melanesischen Ureinwohnern auf einer paradiesisch friedlichen Insel lebt. Er wird von einem amerikanischen Kriegsschiff aufgegriffen, ein Feldweibel (Sean Penn) offeriert ihm, statt vor Kriegsgericht zu gehen beim bevorstehenden Gefecht die Verwundeten einzusammeln. Nick Nolte gibt einen erbitterten Kommandanten, der nach Jahren der Theorie endlich seinen Krieg in Praxis haben will; Elias Koteas seinen Untergebenen, der sich weigert, «seine Männer» dem selbstmörderischen Schlachtplan des Kommandanten zu opfern; Woody Harrelson ist wie immer hervorragend als Gruppenführer, Ben Chaplin's Soldat Bell versucht seinen Verstand mit der Erinnerung an glückliche Szenen mit seiner Frau zu retten. Weitere Figuren kommen und gehen, oft nur für eine oder zwei Szenen, unter ihnen Stars wie John Cusack, John Travolta, George Clooney.

Viele englischsprachige Filmkritiker haben beanstandet, dass Terrence Malick diese Schauspieler verheize, dass er ihr Talent verschleudere, anstatt ihre Charaktere im Rahmen einer sinnreichen Geschichte wachsen und zusammenwachsen zu lassen, so wie das Spielberg in Saving Private Ryan getan hat. Offensichtlich geben sie dem Abspulen bewährter Erzählmuster den Vorzug gegenüber einem mutigen Versuch, den Charakteristika des realen Kriegsgeschehens und seiner Wirkungen auf das Individuum formal gerecht zu werden. Terrence Malick, der seit seinem letzten Film 20 Jahre verstreichen liess, verhält sich als Regisseur einerseits tatsächlich wie ein General, der unbekümmert um Verluste ein ganzes Heer von Stars in die Schlacht schickt, ohne ihre Überlebenschancen an der Bekanntheit ihrer Gesichter zu messen. Andererseits gestattet er jedem seiner Protagonisten für die ihm gegebene Zeit mehr Identität, als dies Spielberg selbst mit seiner Hauptfigur gelingt. Die Soldaten führen innere Monologe, die wir als leise Stimmen aus dem Off vernehmen. Während Spielberg seine Geschichte durch die Stimme eines einzelnen Soldaten erzählt, der dem erlebten Schrecken im Rückblick Sinn geben will, verteilt Malick die Erzählfunktion auf mehrere Individuen. Diese suchen zwar auch den rettenden Sinn im Wahnsinn Krieg, doch verhindert gerade ihre Vielstimmigkeit jene einheitliche Sinngebung, die «Saving Private Ryan» zum eigentlichen Skandal macht. Spielbergs Absicht ist immer die gute, doch sein Weltkriegsdrama um die gerettete Menschlichkeit in unmenschlicher Zeit könnte sich ebenso gut im KZ oder auf dem Sklavenschiff oder im Baseball-Milieu abspielen und liesse sich mit wenigen Eingriffen sogar zur Komödie modifizieren. «Saving Private Ryan» setzt die Notwendigkeit der militärischen Intervention in der Normandie als selbstverständlich voraus, gestattet seinen Charakteren altbackenes Heldentum, und eine völlig unsinnige militärische Operation gerät bei Spielberg zum Musterfall des Wahren Humanismus.

Um solche Fragen kümmert sich «The Thin Red Line» nicht. Ob die verlustreiche Rückeroberung des Pazifik historisch oder ethisch gerechtfertigt sei, ob der einzelne Soldat sich tapfer und loyal verhält, ist kein Thema. Seine Perspektive ist gleichzeitig eine höhere und eine niedrigere: niedriger insofern als die Kamera buchstäblich mit dem einzelnen Soldaten im Gras liegt, sein Flüstern hört, seine Angst atmet. Höher, weil der Film sich über vordergründige Ethik und prätentiösen Humanismus erhebt. Sein Anliegen sind die individuellen Traumatisierungen und die fragilen inneren Gegenwelten, mit denen die Figuren den äusseren Horror zu bannen versuchen. Die andere grosse Gegenwelt bilden in Malicks Film die atemberaubenden Naturschönheiten der Südseeinsel, vor deren Hintergrund sich das Blutbad abspielt. Sie erscheint weder als das Opfer des Krieges noch steht sie zu ihm in einem oppositionellen Verhältnis. Es ist die stets gleichgültige Natur, die, obzwar sie einige Schürfungen abkriegt, dem verzweifelten Kampf der Menschen mit stoischer Neutralität zusieht.

Saving Private Ryan ist konventionelles Kino, «The Thin Red Line» ein waghalsiges Experiment, welches im Genre des Kriegsfilms eine neue, ungewöhnliche Tonart anschlägt. Der Film ist poetisch und philosophisch, ohne sentimental und belehrend zu sein. Den Silbernen Bären der Berlinale und die sieben Oscarnominierungen hat sich Terrence Malick, der «Aussenseiter von Hollywood», redlich verdient.

19.02.2021

5

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Kommentare

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movie world filip

vor 13 Jahren

Poetische Kameraführung... anti-Krieg, filosofisch. Standpunkt gut gebracht. Topfilm.


secondsky

vor 18 Jahren

... mir hat vor allem die Insel gefallen...


4dfx

vor 18 Jahren

Ein Film, der mich jedesmal, so oft ich Ihn auch sehe sprachlos macht. Für mich der einzige Film, der das Prädikat "Antikriegsfilm" zu 100% erfüllt. Philosophisch, nachdenklich, melancholisch, bedrückend, dramatisch und berührend ist The Thin Red Line und damit habe ich die Bandbreite des Films nicht annähernd ausgeschöpft.

Leute, die auf Action stehen, möchte ich gleich warnen, denn davon gibt es nicht so arg viel(obwohl es natürlich harte Kriegsszenen gibt). Bleibt also bitte draußen und versaut den Leuten nicht durch dümmliche Kommentare die Stimmung, sondern geht Rambo ansehen.


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