Filmkritik
Eine Leiche auf dem Küchentisch
Gerade haben wir uns daran gewöhnt, dass die Filme mit Dogma 95-Zertifikat düster, provokativ und alles in allem eher schwere Kost sind, da zeigt uns Søren Kragh-Jacobsen, dass es auch anders geht. Mifune sidste Sang, der sommerliche Erfolg aus Dänemark, lehrt uns, dass vier gesellschaftlich ausgestossene Leute durchaus auf einem Bauernhof einen Neubeginn wagen können, dass man sich in Kellergewölben vor Samurai in Acht nehmen muss und dass man eine Handkamera auch ruhig halten kann.
Kresten (Anders W. Berthelsen) ist ein durch und durch glücklicher Mensch. Gerade erst frisch mit einer hörbar leidenschaftlichen Frau verheiratet, im selben Schritt auch zu einem steinreichen Schwiegervater und einem gutbezahlten Job in dessen Firma gekommen, lässt es sich der Yuppie gutgehen. Die Lage ändert sich etwas, als Kresten entdeckt, dass a) sein Vater tot auf dem Küchentisch im ländlichen Elternhaus liegt und b) sein geistig behinderter Bruder Rud (Jesper Asholt) unter demselben Tisch kauert und mit der Situation offensichtlich überfordert ist. Kresten, der eigentlich vorhatte, seine Familie zu vergessen, bleibt nichts anderes übrig, als zum verrotteten Bauernhof zu fahren und sich um die Zukunft von Rud zu kümmern, bevor dieser in einem Heim untergebracht werden muss. Zu seiner Unterstützung stellt er die schöne Liva (Iben Hjejle) - ein Callgirl auf der Flucht - als Haushälterin ein, was gewisse Probleme mit sich bringt. Als nämlich Krestens Frau bei einem Überraschungsbesuch auf dem Bauernhof die Situation zwischen ihm und Liva verkennt, ist Kresten auf einen Schlag seine Ehe und damit auch seinen reichen Schwiegervater und seinen Job los. Wenigstens hat er nun genug Zeit, sich dem liebenswerten Mifune- und Ufo-Fan Rud und der geheimnisvollen Liva zu widmen.
Wenn sich ein Regisseur trotz erfolgreicher Filme vom ganzen technischen Equipment vergewaltigt und in seiner Kreativität nur behindert fühlt, kann das dogmatische Keuschheitsgelübde offensichtlich Wunder wirken. Jedenfalls war der Verzicht auf Requisiten, Filter, Stative und dergleichen für den Dänen Søren Kragh-Jacobsen (wie schon bei den anderen Dogma-Vätern) nach eigenen Worten äusserst befreiend. In der Tat spürt man in Mifune die Euphorie und Gewitztheit eines Filmemachers, der endlich seine lästigen Fesseln abgelegt und beschlossen hat, seinen neu entfachten Elan ganz in eine sommerliche Komödie einfliessen zu lassen. Genauso tiefgründig wie optimistisch dokumentiert er das Zusammentreffen der vier ausgestossenen Charaktere (zum arbeitslosen Kresten, der geflohenen Liva und dem kindlichen Rud gesellt sich bald Livas aus dem Internat ausgebrochener Bruder hinzu), lässt aber in dem morschen Bauernhof auch einige Male kräftig die Federn fliegen. Und wenn das sowieso schon sehr gemächliche Erzähltempo in der zweiten Hälfte des Filmes kurzzeitig etwas ins Stocken gerät, stört dies wegen der immer wieder aufblitzenden Situationskomik nur wenig.
Seit es Filme nach den zehn filmischen Reinheitsgeboten von Dogma 95 gibt, sind deren Regisseure immer wieder damit beschäftigt zu erklären, warum gerade diese oder jene Regel gebrochen werden musste. Nach Thomas Vinterbergs Festen und Lars von Triers Idioterne hat nun auch der dritte Dogma-Mitbegründer seinen Beitrag zu diesem populären Konzept vorgelegt, doch auch er kommt nicht umhin, in einem ausführlichen Geständnis all seine - wenn auch meist lächerlichen - Missachtungen des Reinheitsgelübdes darzulegen. Doch trotz diesen Sakrilegien zeigt Mifune noch mehr als Festen und Idioterne, dass Dogma 95 tatsächlich funktioniert. Das sympathische Werk wirkt ebenso lebendig und authentisch, dabei aber wesentlich geschliffener als Dogma 1 und 2. Dies liegt zu einem nicht kleinen Teil wohl daran, dass Kragh-Jacobsen auf wohltuende Art beweist, dass man eine Handkamera auch ruhig halten kann und dass exzessiv verwackelte Bilder nicht zwangsläufig ein Bestandteil von Dogma sein müssen.
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