Filmkritik
Disziplin und Leidenschaft
Wenn man das Wort Samurai hört, denkt man an kühne Schwertkämpfer, härteste Disziplin und rigiden Ehrenkodex. Keine Angst, Nagisa Oshimas Recken fliegen nicht durch die Baumwipfel, dafür entbrennen ihre Männerherzen in ungeahnten Flammen: "Taboo - Gohatto" zeigt, wie die strenge Ordnung in einer Samurai-Elitetruppe durch die Affären und Intrigen um einen schönen Jüngling aus den Fugen gerät. Nüchtern und subtil erzählt, ohne viel Effekthascherei und Gewaltverherrlichung gelingt dem Altmeister des japanischen Kinos ("L'Empire des sens", "Max, mon amour") eine eindrückliche Gegenüberstellung von unbedingter Kriegsräson und unberechenbarer Männererotik.
Kyoto, 1865. Der Konflikt zwischen kaisertreuen Isolationisten und Befürwortern der Öffnung Japans gegenüber den USA und anderen westlichen Staaten droht in einen Bürgerkrieg auszuufern. Zur Verteidigung des Shogunats gegen die Rebellen wird der Shinsengumi, eine Samurai-Elitetruppe, vorwiegend aus Abkömmlingen des Bauern- bzw. Händlerstandes rekrutiert.
Unter den neu aufgenommenen Rekruten der Shinsengumi ist der überaus schöne Sozaburo Kano (Ryuhei Matsuda). Zu seiner Schönheit kommt sein Talent im Fechten und seine Bereitschaft zu sterben und zu töten. Diese muss er sogleich unter Beweis stellen, als er zum Scharfrichter über einen fehlbaren Kameraden ernannt wird. Als er während eines Fecht-Turniers einem offensichtlich schwächeren Gegner unterliegt, beginnt sein Vorgesetzter Hijikata (Beat Takeshi) zu argwöhnen, ob die beiden nicht eine heimliche Liebesaffäre hätten. Bald entstehen in der Truppe Rivalitäten, die nicht nur deren Disziplin zu unterwandern drohen, sondern in wilde Eifersucht und nackte Gewalt ausarten.
Trotz seines gemächlichen Tempos ist "Taboo - Gohatto" niemals langweilig. Der schlichten Form und sehr minimalen Spielweise (herrlich lakonisch: Beat Takeshi) steht die hohe Ästhetik der Bildkomposition und die detailreiche Story gegenüber. Oshima geht es dabei offenbar nicht um eine historisch genaue Wiedergabe der Ereignisse. Z. B. sind seine Shinsengumi in Schwarz gekleidet statt in Hellblau, wie es in den Geschichtsbüchern steht. Der schöne Sozaburo dagegen trägt als Einziger Weiss, was der Schilderung des Aufeinanderprallens von zwei urmännlichen Gegensätzen eine theatralische Note verleiht: Inmitten der dunklen, uniformen Schwere wandelt er wie ein betörendes Irrlicht, das die starre Ordnung der Einheit durchbricht und auf den unverwandt fügsamen Gesichtern Züge von verborgener Leidenschaft hervortreten lässt. Auch wird wenig Gewicht auf die kriegerische Rahmenhandlung gelegt, der Fokus ist klar auf die Menschen innerhalb der abstrakten Historie gerichtet, auf ihre Gedanken, Gefühle und ihre Handlungsweise.
Homosexualität wird von den Inhabern der Befehlsgewalt in "Taboo - Gohatto" nicht als ein bedrohliches Monstrum heraufbeschworen, wie man dies aus der jüngeren Abendländischen Geschichte und leider auch Gegenwart gewohnt ist – es sei nur an den "Röhm-Putsch" in Nazideutschland oder an die bis heute andauernde Anti-Homo-Hysterie in der US-Army erinnert ('Don't ask, don't tell' heisst dort das Zauberwort). Hier wird ohne grosse Umschweife auf erstaunlich pragmatische Weise über schwule Beziehungen diskutiert, und dies von alternden Offizieren... Chapeau!
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