Comédie de l'innocence Frankreich 2000 – 95min.

Filmkritik

Viel Psycho, wenig Thriller

Sven Schwyn
Filmkritik: Sven Schwyn

Camille hat Geburtstag, seinen neunten. Kuchen werden aufgefahren und Kerzen ausgepustet. Wenn auch nicht von besonderer Herzlichkeit erfüllt, scheint die Welt dieser kleinen Familie doch einigermassen in Ordnung zu sein. Doch dann der Paukenschlag: "Und du, Mama, wo warst du, als ich geboren wurde?"

Was wie ein schlechter Witz anfängt, nimmt rasch die Züge des Albtraums jeder Mutter an. Ihr Sohn (Nils Hugon), der jetzt Paul genannt werden will, behandelt sie (Isabelle Huppert) immer mehr wie eine flüchtige Bekannte, spricht andauernd und mit einer entwaffnenden Selbstverständlichkeit von seinem richtigen Zuhause und seiner richtigen Mutter. Als diese (Jeanne Balibar) schliesslich auftritt, wird die Situation vollends grotesk. Es beginnt der Kampf zweier Frauen um die Gunst, die Mutter zu sein.

Raoul Ruiz gehört zu den produktiveren Filmemachern unserer Zeit. 1941 geboren, emigrierte er in den siebziger Jahren von Chile nach Frankreich und hat seitdem fast jedes Jahr einen Spielfilm gedreht. Seinen eigenen Stil hat er dabei längst gefunden und bleibt ihm auch mit dieser seiner ungefähr 36. grossen Produktion treu. Seine Fans werden einmal mehr die virtuose Bildsprache bewundern. So sind zum Beispiel die Wohnungen der beiden Mütter auf den ersten Blick grundverschieden, auf den zweiten haben sie jedoch einige Dinge gemein, die man dann durchaus tiefenpsychologisch ausdeuten kann. Bloss schade, dass ob vieler Details die eigentliche Geschichte auf der Strecke bleibt. Es wäre durchaus möglich gewesen, einen so spannenden Stoff (basierend auf dem Roman "Il figlio di due madri" von Massimo Bontempelli) ebenso spannend zu verfilmen, ohne dabei ins Eindimensionale abzugleiten. Ruiz aber verspielt diese Chance unter anderem an seinem einschläfernden Einsatz von Musik, die eines Psychothrillers nicht würdig ist.

Zur lauwarmen Inszenierung passt die Schauspielerei. Den Kampf gegen die unerwartete Konkurrenz mimt Isabelle Huppert unerträglich dröge, fast so, als würde sie am liebsten ins Bett kriechen und abwarten, bis dieser schlimme Traum vorbei ist. Als sie dann endlich die Zähne zeigt, hat sie ihre Glaubwürdigkeit längst eingebüsst.

07.12.2020

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