Ein letzter Kuss Italien 2001 – 115min.

Filmkritik

Die Geschichte aller Liebesgeschichten

Severin Müri
Filmkritik: Severin Müri

30-jährige treffen ihre Lolita und 50-jährige werden zum Kiffen animiert. Ein letzter Kuss, bevor die Flucht vor der Verantwortung, vor dem Altern und vor sich selbst beginnt. Dazu süffige italienische Musik und fertig ist die Geschichte aller Liebesgeschichten.

Carlo (Stefano Accorsi) ist schon lange mit Giulia (Giovanna Mezzogiorno) zusammen. Sie möchte nichts sehnlicher als ihren Carlo heiraten. Dieser möchte eigentlich auch, doch er kriegt kalte Füsse ob der drohenden Bindung und der damit verbundenen Verantwortung. Da kommt ihm die 18-jährige Schülerin Francesca (Martina Stella) gerade recht. Ihr begegnet er auf der Hochzeit eines Freundes und findet in ihr seine Lolita. Vorerst wird jedoch bloss das Baumhaus im Garten bestiegen. Adriano (Giorgio Pasotti) und Livia (Sabrina Impacciatore) sind bereits verheiratet und haben auch schon Nachwuchs. Doch Adriano hat seine liebe Mühe mit den Vaterpflichten. Zudem scheint seine Frau wie verwandelt, seit das Baby da ist. Wie sehr er sich auch anstrengt, Livia findet immer einen Grund zum Streiten. Ein Piercing soll ihm fürs Erste Trost bringen. Anna (Stefania Sandrelli), die Mutter von Giulia, ist schon ihr halbes Leben mit Emilio (Luigi Diberti) zusammen. Dieser lässt sich aber lieber vom Fernseher unterhalten als von seiner Frau. Auch ein Seitensprung lässt ihn nicht aus seiner Ruhe und Sprachlosigkeit bringen. Paolo (Claudio Santamaria) schliesslich soll das Geschäft seines im Sterben liegenden Vaters übernehmen. Doch er hat keine Lust, den Rest seines Lebens Jesusfiguren zu verkaufen. So schlägt er die Flucht aus dem bürgerlichen Leben per Camper vor. Auch Adriano und Alberto (Marco Cocci), für den Treue eine Utopie ist, lässt sich dazu überreden.

In "L'ultimo bacio" ist es Regisseur Gabriele Muccino gelungen, ein sehr attraktives und bekanntes Ensemble zusammenzustellen. Gewann doch Stefano Accorsi für seine Rolle in "Le Fate Ignoranti" den Golden Globe. Daneben spielte er auch in "La Stanza del Figlio" von Nanni Moretti. Stefania Sandrelli zählt zu den bekanntesten Schauspielerinnen Italiens und gewann mehrere Auszeichnungen für ihre Rolle der Anna in "L'ultimo bacio". Auch Giovanna Mezzogiorno ist kein unbekanntes Gesicht. So sah man sie neben Gérard Dépardieu und John Malkovich in "Les Misérables".

"L'ultimo bacio" ist ein Stück italienische Lebenskultur. Halbherzige Liebe gibt es dabei nicht. Geliebt wird mit jeder Faser des Körpers, mit voller Leidenschaft, auf Gedeih und Verderb. Die totale Liebe. Doch das kann auch ins Gegenteil umschlagen. Und schon denkt man daran, der ganzen Welt den Rücken zu kehren. Der Film ist hektisch, laut und emotionsgeladen. Würde man es anders erwarten? Den Gefühlen wird erbarmungslos Gehör verschafft. Geschrei und Gezeter, dass die Wände wanken. Daneben besitzt er aber auch seine ruhigen Momente. Nachdenklichkeit und Trauer verdrängen bisweilen das Hektische, das Laute. Eine Achterbahn der Gefühle eben. Keine Spur von Ausgeglichenheit. Dann, in der Ruhe, erinnert "L'ultimo bacio" stark an die italienischen Klassiker der 50er- und 60er-Jahre. Die Musik trägt das ihre dazu bei: Opulent, melancholisch, süffig, fast opernhaft kommt sie daher und zieht den Zuschauer in ihren Bann. Lässt ihn erst wieder los, als die Filmrolle zu Ende ist.

Doch der Film hat auch seine Schwachpunkte. So ist das Gesellschaftsbild vielleicht doch etwas gar patriarchalisch gezeichnet. Der Mann kann sich danach alles erlauben – die Frau hält es ohne ihn ja doch nicht aus. Überraschungen hat der Film nicht wirklich zu bieten, dafür lullt er den Zuschauer mit seiner Stimmung ein. Als würde man eintauchen in das Dolce Vita Italiens. Trotzdem unbedingt schauen gehen!

04.05.2021

4

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Kommentare

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güx

vor 22 Jahren

Ich habe den Film gestern im OpenAir-Kino gesehen und war enttäuscht. Die schauspielerischen Leistungen waren zwar top. Das Happy End war aber nach all den Verletzungen, die erlitten und zugefügt wurden, schlicht und einfach fehlt am Platze und unglaubwürdig. Zuerst diese (Selbst)zerfleischung, dann doch wieder die grosse Versöhnung - weil Frau ja nicht ohne Mann leben kann... Das hat mich an diesem Film wohl am meisten gestört: Dass die Frauen total abhängig von ihrem Männern sind, wurde mit echter Liebe verwechselt. Klar dürfte es schwierig sein, nach einer 30-jährigen Ehe einen Neuanfang zu wagen -aber immer noch besser als neben einem gefühlskalten Mann emotional zu verdursten. Dass Carlo Giulia auch noch in der letzten Szene schamlos belügt ("nur ein Kuss"), setzt dem ganzen "ich kann mir alles erlauben und du verzeihst mir" wirklich die Krone auf. Ziemlich widerlich.Mehr anzeigen


Gelöschter Nutzer

vor 22 Jahren

Man schaut sich das Gewirr dieser fragilen Paarungen an und ahnt und hofft, dass diese Situationen bald einmal kippen, denn aufs Kippen hin sind sie angelegt. An der Stelle, wo man meint, jetzt ist das Mass voll, kommt die Pause. Wird jetzt eine allmähliche, vom Drehbuch klug aufgebaute Auflösung mit neuen Sichtweisen folgen? Nein, und das ist eben die Schwäche dieses Films: es geht noch weiter crescendo, nur träufelt langsam Moralin in die verhärteten Positionen hinein, man weiss gar nicht so recht warum. Der Gesinnungswandel der Protagonisten ist nicht glaubhaft durch die Ereignisse herbeigeführt. Darum wirkt dieses Happy End so schrecklich aufgesetzt und gibt keine Botschaft her. Viel stimmiger und nachhaltiger wäre es gewesen, wenn der Film dieses Grundmuster der Zerfleischung durchgezogen hätte.Mehr anzeigen


maau

vor 22 Jahren

Sehr realistisch.


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